Ein interessantes Modell, mit dem ich mich unterwegs beschäftigt habe, ist das der gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg. Wir haben mehrere freie Schulen besucht, die u.a. mit diesem Modell arbeiten, und so wurde ich sehr neugierig, was dahinter steckt. So las ich ein Buch von ihm, das in unserer Busbibliothek herumflog. ;-)

Rosenberg arbeitet weltweit als Mediator und gibt Seminare sowohl für große Wirtschaftsunternehmen (und viel Geld), als auch für Schulen, Familien, und gemeinnützige Vereine (teils kostenlos). Besonders aktiv ist er in der Bewegung der „demokratischen Schulen“ (= Schulen, die die Kinder zur Fähigkeit demokratischer Organisation und Partizipation erziehen wollen, zB Sudbury Schulen).

Teils belustigt, teils traurig, erzählt Rosenberg in seinem Buch von seinen Erfahrungen als Mediator:
Von Frauen, die behaupten ihre Partner liebten sie nicht, die aber auch nicht genau sagen können, was ihr Partner tun müsste, um zu zeigen, dass er sie liebt.

Von einem (schwarzen) Gangstaboss, der ihn (zur Zeit der Segregation in den USA ) zuerst bedroht hat, weil er sich überhaupt in sein Viertel wagte. Und der dann nach einem empathischen Gespräch mit ihm gemeinsam in eine Schule gefahren ist, um dem Schulleiter die Bedürfnisse und Beweggründe der gewalttätigen (schwarzen) Kids dort zu erklären. Von Frauen, die er mit ihren Vergewaltigern an einen Tisch gebracht – und eine Versöhnung erreicht hat. Von seinen mühevollen Versuchen israelische Polizisten zur Gewaltfreiheit zu erziehen. Von Eltern, die dem Nachbar, den sie nicht mögen, mehr Respekt zeigen als ihren eigenen Kindern – und von all den Dingen, die er von seinen Kindern, seinen scheint’s besten Lehrern, gelernt hat.

Und von erstaunlichen Kulturen, in denen Menschen, die etwas gemacht haben, das anderen geschadet hat, zB etwas geklaut haben, nicht bestraft werden, sondern von der kompletten Dorfgemeinschaft in die Mitte eines Kreises genommen und mit Lob überhäuft werden: jede® aus dem Dorf sagt dem/r TäterIn, was er/sie in ihrem Leben schon gemacht hat, was den andern Freude bereitet hat.

Ich werde versuchen, das was ich unter gewaltfreier Kommunikation verstehe zusammenzufassen, nach dem Lesen eines Buches, nach dem Besuch eines Workshops darüber und dem Besuch mehrerer Projekte, die mit diesem Modell arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich auf diesen wenigen Seiten schaffen kann, genug praktisches Wissen darüber zu vermitteln, dass ihr LeserInnen es auch anwenden könnt. Aber ich will euch inspirieren, euch damit weiter auseinanderzusetzen. :-)

Die Gewalt hinter der Sprache – der Wolf spricht aus dir!

Die gewaltfreie Kommunikation geht davon aus, dass wir in unserer Sprache unbewusst Gewalt verwenden: Wir sprechen oft auf eine Art und Weise, die Andere in ihren Gefühlen und Bedürfnissen verletzt, ohne uns dieser Ebene von Sprache überhaupt bewusst zu sein. Wir wissen ja schließlich, was wir meinen – der/die Andere muss es also doch auch so verstehen.

Wir erreichen mit der Gewalt, die bei der/dem Anderen ankommt, natürlich das genaue Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen – nämlich Gegengewalt, und reproduzieren so andauernd Gewaltspiralen. Was wir vermeiden können, wenn wir uns diese Gewalt bewusst machen und lernen, anders zu sprechen und zu hören.

Rosenberg spricht von „Wolfssprache“ und Giraffensprache, und verwendet bei Workshops mit Kindern schon auch mal entsprechende Handpuppen, um diese beiden Arten von Sprache zu verdeutlichen.

Alles, was wir sagen, ist mit Gefühlen verbunden. Und hinter diesen Gefühlen stecken Bedürfnisse. Zum Beispiel fühle ich mich gut, wenn ich jemandem erzähle, dass ich gerade ein Bild gemalt habe (was mein Bedürfnis nach Kreativität erfüllt hat). Und wenn der Mensch zuhört und sich mit mir freut (weil das auch noch mein Bedürfnis nach Verständnis erfüllt).

Ich fühle mich dagegen schlecht, wenn ich jemandem sage, dass es mich aufgeregt hat, wie er gerade mit meinem Auto viel zu schnell gerast ist (was mein Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt hat). Und wenn der Mensch mich dann auch noch vorwurfsvoll anmault, dass ich seinem Fahrstil nicht vertraue (was mein Bedürfnis nach Verständnis nicht erfüllt), dann fühle ich mich gleich noch schlechter. Und werde ihn dann vermutlich weiter beschimpfen, ohne darauf einzugehen, dass er sich von mir vielleicht auch unverstanden fühlt.

Laut Rosenberg gibt es 9 verschiedene Bedürfnisse, die alle Menschen gemeinsam haben:
körperliche Nahrung (inkl Essen, Trinken, Wohnen, Wärme, etc), Sicherheit, Verständnis (Respekt/Empathie), Kreativität, Liebe (Intimität), Spiel, Erholung, Autonomie (Selbstbestimmung/Freiheit), und Sinn.

Er meint, jedes Gefühl liesse sich im Endeffekt auf die beiden Gefühle Freude und Leid herunterbrechen: wenn ein Bedürfnis erfüllt wird empfinden wir Freude, wenn es nicht erfüllt wird, Leid. Wenn uns also mal die Worte fehlen, die wir bräuchten, um ein Gefühl zu beschreiben, tun die beiden Begriffe es im Zweifelsfall auch.

Hinter jedem Gefühl, ob Freude oder Leid, steckt also ein erfülltes oder unerfülltes Bedürfnis – dessen wir uns aber oft gar nicht so bewusst sind, weil wir das normalerweise nicht aussprechen. Wir scheinen davon auszugehen, dass der/die Andere schon versteht, was unser Bedürfnis ist, und sprechen einen wichtigen Teil dessen, was wir zu sagen haben, folglich nicht aus.
Dabei sind die Bedürfnisse die einzige Ebene von Kommunikation, auf der wir uns wirklich alle gegenseitig verstehen können, denn Bedürfnisse sind bei allen gleich – Ansichten und Gefühle dagegen nicht!

Denn jede® von uns befriedigt seine Bedürfnisse auf eine andere Art.
Während die Eine sich, um ihr Bedürfnis nach Nahrung zu befriedigen, mit Toastbrot zufrieden gibt, fühlt der Andere sich in seiner Existenz bedroht, wenn er nicht ein 3-Gänge-Menü zu Abend essen kann.

Ein weiteres Beispiel:
Eine Frau lädt eine Freundin zum Essen ein, was für sie eine Form ist, ihr zu zeigen, dass sie ihre Bedürfnisse nach Erholung, oder nach Respekt erfüllen will. Sie will ihr damit auf jeden Fall etwas Gutes tun! Nun weiss die Frau aber nicht, dass die Andere Vegetarierin ist und macht ein Schnitzel. Die Freundin fühlt sich dann gestresst und unverstanden, weil die Frau keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen hat, die sie doch eigentlich kennen müsste. Die Köchin fühlt sich nun ebenfalls verletzt, weil ihre Kochkünste nicht geschätzt werden – vielleicht greift das zB ihr Bedürfnis nach Sinn an.

In diesem Fall wird es zwar wahrscheinlich nicht zu einem schlimmeren Konflikt kommen, denn Vegetarier sind so etwas ja gewöhnt und wissen damit umzugehen- aber die Situation verbildlicht schön das Konfliktpotenzial: Ein und dieselbe Situation kann von zwei Menschen komplett anders wahrgenommen werden, und wenn ein Mensch denkt er täte jemand Anderem etwas Gutes, tut er/sie vielleicht exakt das Gegenteil. Und das, ohne dass eine Seite etwas dafür könnte! Von Schuld kann keine Rede sein!

Beim alltäglichen Sprechen finden wir selten hinunter auf die gemeinsame Ebene von Bedürfnissen und wie wir sie befriedigen, und so entstehen Missverständnisse. Wir alle wissen wie es ist, sich unverstanden zu fühlen – aber zu verstehen, warum die Andere jetzt verletzt ist, wenn man sie zum Essen eingeladen hat??? Schnell landen wir so bei Schuld und Vorwürfen … wir sagen: „Du bist so scheisse! Das ist doch nicht normal, was du da von mir willst!“ – weil es uns eigentlich die Sprache verschlägt. Weil wir einfach nicht ausdrücken können, was wir uns wünschen, und was der/die Andere tun kann, um uns zu helfen, damit es uns besser geht. Oder gar nicht wissen, was der/die Andere tun könnte! Wir drücken uns oft darum herum, konkret das zu sagen, was wir sagen müssten, um wirklich Verständnis zu errreichen, und greifen stattdessen Menschen an.

Wir verwenden dann Begriffe der „statischen Sprache“, wie gut/schlecht, normal/nicht normal, richtig/falsch, usw, die uns nicht weiterbringen. Die Sprache der gewaltfreien Kommunikation dagegen ist eine „Prozessprache“, d.h. Eine dynamische Sprache, die versucht alles Urteilende zu vermeiden und offen ist für eine Veränderung der Situation: es ist zum Beispiel ein riesiger Unterschied ob ich frage: „bist du wütend?“ oder urteile: „du bist so ein wütender Mensch!“. Es ist ein Unterschied, ob ich sage, dass etwas nicht geht, oder ob ich sage, dass ich nicht weiss, wie es gehen soll.

Wer jetzt denkt, „Sowas mache ich ja nicht!“, sollte mal über dieses Beispiel nachdenken, das vielleicht schon etwas schwerer zu entwirren ist:
Eine Frau sagt zu ihrem Freund: „Ich will nicht, dass du so viel arbeitest!“.
Ein(e) verständnissvolle® HörerIn hört jetzt vielleicht schon heraus, worum es ihr vielleicht geht.
Erwarten kann die Frau das aber nicht.

Der Mann jedenfalls versteht nicht, was sie will. Das Einzige, das bei ihm ankommt ist, dass er etwas falsch macht, was sie nicht gut findet. Aber was tut er jetzt dagegen? Was er besser machen könnte, hat sie ihm nicht wirklich gesagt, er kann es sich ja vielleicht denken – oder?

Selbsterkenntnis – werde eine Giraffe!

Um gewaltfrei zu kommunizieren, müssen wir uns beständig fragen:
„Was ist lebendig in mir? Was fühle ich?“ und „Was würde mein Leben bereichern? Was würde meine Laune verbessern?“

Das ist die Grundlage zur Selbsterkenntnis, um zu wissen, was wir von den Anderen überhaupt wollen. Wer sich selbst unsicher ist, was er/sie überhaupt will, gibt dem/der Andern überhaupt keine Chance, ihm/ihr etwas Gutes zu tun, oder gemeinsam eine Lösung zu finden.

Rosenberg trifft in seiner Arbeit nicht gerade selten auf Menschen, die sich sicher sind, dass ihr(e) PartnerIn sie nicht liebt, aber bei genauerem Nachhaken findet er heraus, dass die Leute sich selbst unsicher sind, was sie sich unter Liebe und unter einer funktionierenden Beziehung überhaupt vorstellen. Vom PartnerIn erwarten, dass er/sie besser weiss, was man sich wünscht, als man selbst.

Er versucht sie also zu trainieren, sich erstmal selbst klarer zu werden, was sie selbst wollen.
Folgende Anleitung gibt er Leuten für die Konfliktlösung mit:
1.Beobachtung:
Beobachte dich selbst: was hat die andere Person getan, was dich in deiner Lebensqualität einschränkt? Was löste den Konflikt aus?
2.Gefühle: Wie fühlst du dich, wenn die andere Person sich so verhält?
3.Bedürfnisse: Was ist dein Bedürfnis, das hinter deinem Schmerz steht? Was könnte der/die Andere tun, um dein Leben zu bereichern?
4.Bitte: Formuliere eine möglichst konkrete Bitte, und klare Handlungsangebote.

Was, wenn die Frau konkret gefragt hätte: „Würdest du einen Abend pro Woche mit mir, und einen mit den Kindern verbringen?“. Damit kann der Mann schon mehr anfangen und ein Vorwurf steckt auch definitiv nicht drin.

Anfangs kann es aber schon auch passieren, dass Leute trotz aller eigenen Bemühungen, den Gewaltkreis zu durchbrechen, weiter Vorwürfe in das Gesagte hineinhören. Sehr praktisch die Frage: „wie kann ich das formulieren, so dass du es nicht als Vorwurf verstehst?“

Und der Mann kann jetzt natürlich auch noch „nein“ sagen, und dann kann die Frau auch nichts weiter tun, als zu versuchen seine Beweggründe für dieses „Nein“ verstehen zu lernen – und eventuell versuchen einen Kompromiss zu finden, mit dem beide zufrieden sind.

Was wir dafür noch können müssen ist, das Prinzip der gewaltfreien Kommunikation nicht nur auf das Sprechen, sondern auch auf’s Hören anzuwenden.
Was Rosenberg hierfür empfiehlt, ist dass es unheimlich wichtig ist, dem Gegenüber auch klar zu verstehen zu geben, dass man ihn verstanden hat, und sich hierfür auch Zeit zu nehmen, bevor man selbst weiter versucht den eigenen Standpunkt zu erklären.

Menschen hören auch eher zu, wenn sie sich verstanden fühlen. Dafür muss mensch schon ein bisschen Geduld mitbringen, aber das spart evtl lange Streits und somit sogar wahrscheinlich viel Zeit.

Ein „ich hab dich verstanden“ reicht nicht aus. Da muss mensch das Gesagte schon auch wiedergeben können, und nachfragen, ob das jetzt auch wirklich so gemeint war, und nicht anders. Erst wenn ich wirklich verstanden (und das auch so gesagt habe!), dass mein Gegenüber sich in seinem Bedürfnis nach Selbstbestimmung eingeschränkt fühlt, wenn es nicht einen Raum hat, in dem es Sachen so auf dem Boden verteilen kann, wie es sich gut anfühlt, dann kann ich mein Bedürfnis nach mehr Sauberkeit erwähnen. Nicht gleich gegenfeuern!

Einfühlung geben!

Hier eine Unterhaltung aus seinem Buch, zwischen einem Kind, das nicht in die Schule gehen will, und einer Mutter, die vom Lehrer angerufen wurde, sich jetzt Sorgen macht und das Kind zur Rede stellt.
Wer sich, wie ich, NICHT an seine eigene Schulzeit zurückerinnert fühlt, kann sich freuen, dass sich vielleicht doch ab und zu etwas ändert in dieser Welt! :-)

[…]
„Was hast du denn gemacht als du nicht zur Schule gegangen bist?“
„Ich hab bis 2 Uhr im Bett gelegen“
„Du hast überhaupt keine Lust zur Schule zu gehen, oder?“
„Die bringen uns eh nur Müll bei, das interessiert mich alles nicht. Wofür soll das überhaupt gut sein?“
„Das heisst, du würdest lieber Dinge lernen, die dir was bringen im Leben?“
„Ja, es ist total langweilig“
[…]

„Das was du lernen sollst, interessiert dich also gar nicht. Und du hast auch keine Lust ständig von den Lehrern vorgeworfen zu bekommen, du seist desinteressiert und faul?“
„Ja, das nervt mich total, wie die mit einem reden“
„Würdest du gerne ernstgenommen werden von den Lehrern?“
„Die reden mit einem, als wären wir der letzte Dreck, wenn man mal seine Hausaufgaben nicht hat. Und dann kommandieren sie einen die ganze Zeit herum, das ist wie im Gefängnis.“

„Würdest du gerne mehr entscheiden, was du machen willst und wann?“
„Ja, ich weiss nicht. Ich weiss ja auch, dass ich was tun sollte für die Schule. Glaubst du, ich krieg nicht mit, wie du dir die ganze Zeit Sorgen machst? Ich will auch nicht, dass ihr wegen mir Stress habt“
[…]

„Heisst das, du hättest schon Lust zu lernen, aber nicht so, wie es in der Schule von dir erwartet wird?“
„Ja, aber ich muss das Zeug doch lernen, sonst komm ich ja nie raus. Und manche Sachen in der Schule kapier ich einfach nicht.“
„Das klingt, als würden dich eine Menge Zweifel quälen, als wüsstest du da im Moment gar nicht weiter. Ist das so?“
„Ja, irgendwie schon. Und dann denke ich immer, ihr seid total enttäuscht. Mein Bruder hat sich nicht so blöd angestellt. Der hat seinen Schulabschluss gemacht und hatte auch noch gute Noten.“

„Dann bist du also deprimiert, weil du gerne erfolgreich wärst?“
„Ja, aber ich bin der Loser der Familie und ihr müsst euch die ganze Zeit Sorgen um mich machen, und dann weiss ich nicht, wie ich das ändern kann und dann hab ich erst recht keine Lust auf Schule“
„Das klingt als wär das ein Teufelskreis für dich?“
„Ja“
„Und du bist ganz hilflos und weisst nicht, wie du da rauskommen sollst?“
„Ja“
„Und du bräuchtest mehr Zuversicht und Selbstbewusstsein, um entspannter in die Schule zu gehen?“
„Ja“


Die Mutter bleibt im Gespräch immer bei der Gefühlsgegenwart des Jungen, und spart sich jegliche Lösungsvorschläge, Besserwissereien, und Ausflüge in die Zukunft oder Vergangenheit.
Sie reflektiert seine Gefühle und Bedürfnisse, aber nicht seine Gedanken, und sie wertet dabei nicht.

Der Junge hört jetzt jedenfalls zu und fühlt sich verstanden.
Und erst nach dieser langen Zeit von Einfühlung geben ist es an der Zeit nach Lösungen zu suchen.
Das ist doch mal eine ganz gute Grundlage, um welche zu finden, oder?