Selbstreflektion (World Cafe)

Ein wichtiger Strang der Diskussion war die „Offenheit bzw. Abgeschlossenheit“ der „Szene“. Die wahrgenommene Abgrenzung der radikalen Linken gegenüber „den Anderen“ wurde an folgenden Fragestellungen kritisch diskutiert:

Die radikale Linke sei mehrheitlich weiß, gesund, männlich [„ist das so?“], jung, kinderlos, etc. Aktionskonzepte seien häufig an Erlebniskultur gebunden und so ausgelegt, dass körperliche Fitness und viel Zeit als Norm vorausgesetzt würden. Die in vielen Publikationen jeglicher Art verwendete Sprache wurde als elitär und häufig unverständlich kritisiert. Zudem wurde die zumeist fehlende Barrierefreiheit in „Freiräumen“ etc. thematisiert.

Abgrenzung könne jedoch auch nötig sein, jedoch nicht als ritualisierter Selbstläufer (Spontandemos), sondern als bewusstes Agieren. Hierbei wurde hervorgehoben, dass Gruppen/Gruppierungen/Spektren unterschiedliche Ansätze hätten, wie die Außenwirkung sein solle und welche Inhalte überhaupt nach außen getragen werden sollten. Es kam die Frage auf, inwieweit von Medien erzeugte Bilder unsere Selbstwahrnehmung und Handlungsräume beeinflussen.

Als Ausweg aus den zuvor bemängelten Defiziten der Szene wurde ein offeneres Auftreten statt subkultureller Abgeschlossenheit eingefordert. Hierbei sei besonders die offene Kommunikation mit „Neulingen“ wichtig. Eigene Inhalte sollten alltagstauglich vermittelt werden, ohne elitär zu wirken oder sich einer solchen Sprache zu bedienen.

Die gesamte Diskussion war geprägt vom Zweispalt zwischen Öffnung und Selbstschutz. Die Verschlossenheit der „Szene“ schien fast alle zu stören, zugleich stand dem die Selbsterkenntnis gegenüber, dass „wir“ dafür alle Mitverantwortung tragen.

Im weiteren Diskussionsverlauf ging es um das Spannungsfeld zwischen politischem und privatem Selbstverständnis:

Dadurch, dass „wir“ alle in dieser Gesellschaft sozialisiert seien, reproduzierten „wir“ auch ihre Mechanismen trotz eigentlich bestehender Ansprüche (z.B. bezüglich Sexismus, Rassismus, Heteronormativität, etc.). Daraus ergeben sich permanente Widersprüche im Spannungsfeld zwischen politischem Selbstverständnis und eigener Lebensrealität. Insbesondere wurde festgestellt, dass Politik, die „wir“ machen, häufig nicht in „unseren“ Alltag eingebettet sei, vor allem wenn es um eigene Zwänge, z.b. Lohnarbeit, Reproduktion, etc. ginge. Häufig sei „unser“ Alltag daher weniger revolutionär als der politische Anspruch, der dahinter stehe. Andererseits könnten politische Strukturen dazu beitragen, den eigentlich gewünschten Alltag erst zu ermöglichen (z.B. Kommunen, Kollektive, Solidaritätsnetzwerke, etc.).

Ein Widerspruch, dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, waren Leistungsansprüche in der politischen Arbeit. An folgenden Ausgangsfragen wurde diskutiert:

Eine häufige Selbstwahrnehmung schien, dass „„wir“ viel machen müssen, da „wir“ wenige sind. Hierdurch ergebe sich ein hoher Leistungsanspruch, der dazu führe, dass es zu wenig Zeit für Selbstreproduktion und Entspannung gebe. Auch Teile von Strategien autonomer/linksradikaler Politik (z.B. Kampagnenpolitik) trügen zum Entstehen von Überlastung und Burnout bei.

Und vor allem: wer verdammtnochmal sind „WIR“???

Glossar

Heteronormativität: gesellschaftlichliche Norm, die davon ausgeht, dass es eben nur zwei Geschlechter gibt, und zwar auf allen Ebenen: biologisch, identitär, sozial, sexuell, im gesellschaftlichen Verhalten, etc. außerdem sind alle heterosexuell

Defizite: Mangel, “Fehler”