Organisierung (World Cafe)

  1. Wie stehen wir zu Organisierung, wie viel/ wenig wollen und brauchen wir? Gibt es eine Organisierung über einzelne Politgruppen hinaus?
  2. Ist es sinnvoll, Verbindlichkeiten zu schaffen und wenn ja, wie? Widerspricht das dem Prinzip der Selbstorganisierng?
  3. Welche ökonomische und soziale Absicherung braucht es, um langfristig Widerstand leisten zu können?
  4. Warum kommen wir in Strategie- und Perspektivdebatten dazu, dass mehr Organisierung nötig ist – individuell und in der Praxis lehnen wir aber Organisierung ab?

Wozu eigentlich Organisierung und wer soll sich da eigentlich mit wem organisieren? Wie viel Organisierung wollen und brauchen wir und auf welchen Ebenen?

Organisationsebenen

Polit-Gruppen

Die Organisierungsform der Politgruppe wurde als offenes und geschlossenes Modell und teilweise kontrovers diskutiert.

Als die positiven Aspekte der Organisierung in einer Gruppe wurden verschiedene Punkte herausgearbeitet. Die Arbeit in der Politgruppe gebe sozialen Halt und steigere die Handlungsfähigkeit durch eine stärkere Verbindlichkeit. In Politgruppen seien zudem die Ressourcen/Kräfte besser bündelbar, es ergebe sich auch die Möglichkeit, dass durch die bessere Lastenverteilung in der Gruppe Aufgaben übernommen werden, die Einzelne kaum übernehmen würden. Die Zusammenarbeit in der Politgruppe könne als Experimentierfeld für größere politische Zusammenhänge genutzt werden, außerdem werde Reflektion über Politarbeit und „Reprokram“ hier ermöglicht/vereinfacht.

Als problematisch wurde gesehen, dass Einzelmeinungen in dynamischen Gruppenprozessen untergehen könnten und dadurch der Gruppenstandpunkt den Einzelmeinungen übergeordnet sei. Durch Ritualisierung entstünden so Gruppenidentitäten. Auch treten in Politgruppen immer wieder informelle Wissenshierarchien auf, die nicht immer hinreichend reflektiert würden. Hier wurde angemerkt, dass es Rollen gebe, die „Sinn“ machten und andere, die Hierarchien schaffen/stärken würden. Hier stellte sich die Frage, ob das „Private“ das „Politische“ korrumpiere, z.B. durch Vernetzungsgrad und informelle Wissenshierarchien.

Als mögliche Gegenstrategie sei die offene Kommunikation (auch über Hierarchien und Hierarchieabbau) innerhalb der Gruppe genannt.

Offene Politgruppen bieten Anschlussfähigkeit für Interessierte, geschlossene einen besseren Schutz vor Repression. Hier sei der Zweck der Organisierung, Massenmobilisierung vs. klandestine Organisierung, zu beachten.

Übergeordnete Organisierung

In der Diskussion wurde zwischen „übergeordneter Organisierung“ und „übergeordneter Organisation“ unterschieden, hierbei wurde „übergeordnete Organisierung“ als wünschenswert und „übergeordnete Organisation“ als institutionalisiert und ablehnenswert diskutiert.

Organisierung Organisation
– notwendige Zusammenführung/Vernetzung – Institutionalisierte Organisierung
– positiv Bsp. VV – negativ Bsp. DGB

Im weiteren Verlauf der Debatte spielte die Frage eine Rolle, inwieweit ü.O. das eigene Profil entschärfe. Die Organisierung in ü.O.´s kann die Möglichkeit einer gemeinsamen Prioritätensetzung schaffen. Es kam die Frage auf, ob das Modell VV für einen basisdemokratischen Ansatz der ü.O. geeignet sei.

Zur These, dass ü.O.´s nach basisdemokratischen Prinzipien (z.B. Rätemodell/Delistruktur mit imperativem Mandat) funktionieren können, wurde die Gegenthese formuliert, dass das Deliprinzip in gewissem Maße zu einer Institutionalisierung und damit in eine Organisation führen würde.

Kollektive

Hier wurde die Frage aufgeworfen, welche ökonomischen und sozialen Absicherungen nötig seien, um im Widerstand „alt zu werden“ und wie dies umgesetzt werden könne? Unter dem Stichwort „Politik der ersten Person“ wurde eingefordert, den eigenen Alltag und die eigenen Reproduktionsbedürfnisse im politischen Geschehen mitzudenken. Durch die Kommunikation darüber könne dann kollektives Bewusstsein und Handeln entwickelt werden.

Solidarische Netze

Langfristiges denken – das Teilen von Ressourcen und Fähigkeiten, um aus der Vereinzelung rauszukommen und die gegenseitige Unterstützung im Alltag (z.B.durch Kommunen/ gemeinsame Ökonomie/ Finanzcoops) wurden als wichtige Säulen der Organisierung herausgearbeitet. Inwieweit sich unsere Utopien in unserer politischen Organisierungen widerspiegeln sollen, wurde als Fragestellungen aufgeworfen.

Organisierung (AG)

Für die AG – Organisierung gab es 3 Punkte, an denen sich die Diskussion entlang hangeln sollte.

Da die AVV für die meisten sehr präsent war, wurde der Vorschlag gemacht, mit diesem Thema anzufangen, da die anderen Punkte mehr oder weniger darauf aufbauen könnten.

Die Debatte begann mit der Fragestellung: Wer nutzt die AVV, wer nicht & warum?

In der Gruppe waren Menschen, die regelmäßig zur AVV gehen, Menschen, die die AVV spannend finden, es aber nicht regelmäßig schaffen bzw. es noch gar nicht geschafft haben hinzugehen und Menschen, die der AVV kritisch gegenüberstehen. Außerdem wurde über die VV in Berlin berichtet.

Die AVV werde sowohl als Plattform für Strategiedebatten als auch zum Austausch genutzt. So eine Art von Austausch habe es in Bremen lange nicht gegeben, wurde aber in der Diskussion für sehr wichtig erachtet, um Organisierung überhaupt zu ermöglichen. Jedoch wurde an diesem Punkt die Befürchtung geäußert, dass es sich nur um Austausch und Vernetzung innerhalb der Szene handle. Als weiterer wesentlicher Aspekt der AVV wurde erwähnt, dass sie dazu beitragen könne, die Orientierung an Einpunkt-Themen zu überwinden, gemeinsame Diskussionsstände zu erreichen und Erfahrungen auszutauschen. Auch könne die tendenziell in autonomen Zusammenhängen anzutreffende Theoriefeindlichkeit, welche das Verlangen nach Unmittelbarkeit in Politikansätzen bedinge, durch inhaltliche Auseinandersetzungen auf der AVV angegangen werden.

Szeneinterne Diskussionen wurden in der Debatte als wichtig erachtet, um „unsere“ Standpunkte zu verfestigen, um sie dann in weiteren Kreisen vertreten zu können, ohne in Bündnissen oder großen Kampagnen unterzugehen. Der Wunsch nach einer Öffnung der Szene bzw. der Auflösung des „wir“ wurde während der gesamten MR mehrmals betont, die szeneinterne Debatte jedoch (nur) in der AG – Organisierung (& Medien) näher besprochen und als notwendig bezeichnet. Der Austausch in der Szene wurde auch deshalb als wichtig erachtet, da eine starke Vereinzelung der Gruppen beobachtet wurde.

In der Diskussion wurde hinterfragt, weshalb das Bremer Plenum zur AVV geworden sei. Hierin sahen Einzelne die Tendenz, dass dies spektreneingrenzend sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass die AVV sich bei der Umstrukturierung und Umbenennung inhaltlich und für andere Spektren öffnen wollte und anstrebte, eine bewegungsweite Diskussionsplattform emanzipatorischer Zusammenhänge zu sein. Sie solle nicht an Gruppen oder eine bestimmte Ausrichtung gebunden sein, sondern eine Plattform für den langen Prozess der Auseinandersetzung miteinander bieten. „Die AVV ist keine VV (nur) für Autonome, sondern eine VV, die (im Anspruch) autonom ist.“

Auch wurde die Hoffnung formuliert, dass die Struktur der AVV eine Vernetzung hervorbringen könne, auf die dann hoffentlich die Öffnung „unserer“ Strukturen folge. Zur Zeit sei es wichtig, die Ansätze der Öffnung fortzusetzen, z.B. die Zusammenarbeit mit den Hafenarbeiter_innen (Komitee – Wir sind der GHB!) oder Arbeiter_innen von SCHLECKER. Hier gebe es von beiden Seiten Interessensbekundungen an weiterer Zusammenarbeit. Diese Kontakte zu knüpfen und nun auszubauen sei nur möglich durch Absprachen und eine daraus folgende gemeinsame Ausrichtung. Eine weitere Beteiligung an „Sozialen Kämpfen“ wurde als wichtig erachtet, da hier viel Potential vermutet wurde und dieser Bereich in den letzten Jahren viel zu wenig Beachtung gefunden habe.

Die AVV solle jedes mal Raum für ein vorher festgelegtes Thema bieten sowie für aktuelle Sachen und Dinge, die spontan eingebracht werden. Als Nachteil am themenspezifischen Arbeiten wurde gesehen, dass Leute nur zu den für sie interessant erscheinenden Themensetzungen kommen und so die Teilbereichspolitik gestärkt und nicht aufgebrochen werde. Um dies aufzubrechen, wurde der Vorschlag gemacht, einzelne Themenbereiche stärker miteinander zu verknüpfen und miteinander ins Verhältnis zu setzten. Dies wurde in der Diskussion generell als notwendig erachten, um überhaupt zu einer konstruktiven & radikalen Kritik am bestehenden System zu kommen.

Als Kritik an der AVV wurde fehlender Raum für Gesellschaftsanalyse eingebracht. Hierzu wurde gesagt, dass es ja zum einen in der AVV immer Raum gebe, der spontan gefüllt werden könne, andererseits der Raum, den die AVV bieten könne, nicht reiche, um eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse zu leisten. Vorgeschlagen wurde dies eventuell in AG´s auszulagern, dies müsse auf der AVV besprochen werden. Die AVV lebe davon, dass Leute sich und ihre Ideen immer wieder einbrächten und der inhaltliche Spielraum genutzt werde.

Als konstruktiv wurde der Aspekt der Möglichkeit zu kontinuierlich geführten Strategiedebatten bewertet. Für Prozesse gesellschaftlicher Veränderung wurde in der Diskussion Kontinuität ein hoher Stellenwert eingeräumt. Von daher wurde auch der zweiwöchige Rhythmus, in dem die AVV stattfindet, als zweckmäßig empfunden, auch wenn einigen der Intervall für Strategiedebatten zu schnell erschien.

Es wurde als wichtig erachtet handlungsfähig zu bleiben und gleichzeitig eine kontinuierliche Strategiedebatte zu führen. Hier wurde die Befürchtung geäußert, dass eines von beiden „auf der Strecke bleibt“. Um an Entwicklungen dranzubleiben und diese nicht einfach zu „verschlafen“, wurde es als wichtig herausgestellt, dass eine permanente Einmischung und Beteiligung an Prozessen, wie sozialen Kämpfen stattfinde.

Es wurde der Wunsch geäußert, auf der AVV auch die Wichtigkeit von Strategiedebatten zu verdeutlichen, auch um Kritik an der Struktur zu erfahren. Letztendlich solle die AVV ein Ort sein, an dem sich Menschen auf emanzipatorischer/basisdemokratischer/hirarchiearmer Ebene mit der Gesellschaft auseinandersetzen und ihre Kräfte bündeln können

überregionale Vernetzung & Organisierung

Es wurde von AVV -Gründungen aus anderen umliegenden Städten (Hannover/Hamburg) berichtet. Hierin wurde eine Möglichkeit der überregionalen Vernetzung gesehen. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Veröffentlichung der jeweiligen AVV – Protokolle anzuregen, um sich in Diskussionen aufeinander zu beziehen, bzw. sich über die Diskussion in anderen Städten zu informieren und auszutauschen. Als eine weitere Möglichkeit wurde die Entwicklung einer überregionalen AVV gesehen, in der, z.B. nach dem Delegiertenprinzip weitere Vernetzung aber auch Diskussionen an den Fragen:

gewünscht wären.

In diesem Zusammenhang gab es einen Bericht von der Berliner – AVV, diese habe sich in den letzten Monaten stark verkleinert. Dort fänden wenig inhaltliche Debatten statt und auch keine Auseinandersetzung, damit aus der „Szene“ herauszukommen“. Es gäbe eher eine Beschränkung auf Informationsaustausch. Die dort existierende Vorbereitungsgruppe sei eher für die technische als für die inhaltliche Vorbereitung zuständig. Es wurde die Idee geäußert, dass durch einen überregionalen Austausch die dortigen Diskussionen und Auseinandersetzungen wieder angeregt werden könnten.

Bündnisprozesse – Wie können „wir“ linksradikale Inhalte in Bündnisse einbringen und durchsetzen?

Generell war der Standpunkt in der Diskussion, dass es mehr Vernetzung und Zusammenarbeit geben solle. Hier wurden neben der Vernetzung in der AVV und der Vernetzung von verschiedenen VV´s , auch die Zusammenarbeit mit und in Bündnissen und/oder anderen Gruppen als wichtig erachtet. In Bremen habe es verschiedene Versuche hierzu gegeben, momentan gebe es mehrere Bündnisse, z.B. Krisenbündnis, Klimaplenum, Mayday-Bündnis, in denen eine Debatte in einem breiteren Spektrum möglich sei. Hier schloss sich die Frage an, weshalb so wenige von „uns“ in diesen Plena säßen? Es wurde der zeitliche Aspekt als Hinderungsgrund angeführt, Plena/Treffen bräuchten immer eine gewisse Vor- und Nachbereitungszeit, dies sei zeitlich jedoch oft schwierig.

Die kontinuierliche Arbeit von einzelnen Gruppen zu speziellen Themen könne stärker genutzt werden, um eine ständige „Neuerfindung des Rades“ zu vermeiden. Nach dem Motto: „Expert_innen machen uns zu Epert_innen“. Diese gegenseitige Hilfe habe zur Grundlage, dass „wir“ uns gegenseitig von „unseren“ Arbeitsfeldern berichten und für andere ansprechbar zu werden. Ein gemeinsamer Wissenstand und eine gemeinsam erarbeitete Ausrichtung könne einen positiven Effekt auf das Mobilisierungspotential haben.

In diesem Zusammenhang ergab sich eine Diskussion über Kampagnenpolitk. Diese sei oft marktförmig angelegt, d.h. verschieden Gruppen konkurrierten darum, „ihre“ Kampagne als Event anzupreisen (Bsp. Kopenhagen). So rücke oft das eigentliche Thema der Mobilisierung in den Hintergrund. Dies sei daran zu sehen, dass die Mobilisierung nicht über das Event hinaus wirke, so sei im Folgenden nicht mit einem Erstarken der anderer Klimaproteste zu rechnen. Kritisiert wurde auch, dass Kampagnenpolitik oft eine kontinuierliche, gesellschaftspolitische Ausrichtung ersetze. Als Ziel wurde formuliert, über Eventmobilisierung hinaus den Protest auch an weniger prominente Orte zu bringen. Als möglicher Weg wurde genannt, die Verknüpfung verschiedener Thematiken untereinander aufzuzeigen und so letztendlich zu einer radikalen Systemkritik zu kommen, in der die Verwobenheit der Kämpfe mitgedacht werde. Hierin wurde in der Diskussion eine Chance gesehen, Widerstand Kontinuität zu verleihen.

Es wurde die Einstellung bemängelt, sich für oder gegen Kämpfe zu entscheiden, dies führe dazu, dass die Organisierung auf einige wenige zurückfalle. Das Ziel solle eine konsequente, widerständige Haltung sein und kein temporärer Protest.

Glossar:

informell: in diesem Kontext: nicht offengelegt, nicht (unbedingt) so gedacht, ohne dass dies gemeinsam so gewollt ist

korrumpieren: „verderben“, „bestechen“

klandestin: nicht offen, heimlich

imperatives Mandat: eine delegierte Person, die für eine Gruppe an einem Plenum/Treffen teilnimmt kann dort Gruppenpositionen reintragen (und Fragestellungen zurück an die Gruppe geben), allerdings nicht Entscheidungen für die Gruppe treffen, ohne dass diese vorher einen Konsens erarbeitet hat