Mujeres Libres

Die Situation der Frauen im katholischen Spanien vor der Revolution

a) Die ökonomische und soziale Situation
„Die gesellschaftlichen Verhältnisse Spaniens vor der Revolution spiegelten die Jahrhunderte währende Herrschaft eines autoritären Staates wider; unterstützt von der katholischen Kirche, die gerade in ländlichen Gebieten die dominierende soziale Instanz darstellte. Natürlich prägte die kirchliche Ideologie auch die Geschlechterrollen.
Der traditionelle spanische Alltag ist bis heute durch eine strikte Trennung von Männer- und Frauenbereichen gekennzeichnet. … Den Frauen war die reproduktive Arbeit als Hausfrau und Mutter zugeschrieben. … Innerhalb der Familie konnten sie eine starke Stellung einnahmen und ihre Entscheidungen eigenständig treffen…. Darüber hinaus mussten sie für zusätzliche Einkünfte sorgen …, durch Heimarbeit und andere schlecht bezahlte, sozial nicht abgesicherte Tätigkeiten, … in … Landwirtschaft, … Garten, oder sie verarbeiteten die daraus gewonnenen Produkte und verkauften sie weiter. … //116/17// Außerhalb der Familie wurden Frauen über männliche Verwandte definiert, ohne deren Zustimmung sie keine wichtigen Entscheidungen treffen durften. Der einzige Ort, der Frauen außerhalb der … Großfamilie zugebilligt wurde, war die Kirche. Hier spielte sich das soziale Leben der Frauen ab. … Daraus erklärt sich der große Einfluss, den die katholische Kirche gerade auf Frauen auf dem Land ausübte und der Umstand, dass Frauen oft konservativere Einstellungen (auch zu Fragen des Geschlechterverhältnisses) vertraten als ihre Männer.“ (Lohschelder S. 116 / 7)

b) Die Frauenfrage und die anarchistische Bewegung
„‚Mujeres Libres’ steht in der Tradition der anarchistischen Bewegung, die zurückgeht auf die libertäre Utopie des 19. Jahrhunderts und die ohne den Wunsch nach der Befreiung der Frau nicht denkbar gewesen wäre. … Die Grundsatzer­klärung des zweiten Kongresses der Regionalen Spanischen Föderation der Ersten Internationale von 1872 enthielt einen Abschnitt zur Befreiung der Frau.“ (Nash, S.8) Es sollte dabei aber nicht unter den Tisch fallen, dass einige Anarchisten frauen-feindlich waren. „Während sie gegen das Eigentum eintreten, sind sie selbst wütende Eigentümer. Während sie gegen die Sklaverei kämpfen, sind sie selbst strenge ‚Gebieter’. Während sie gegen die Monopole zetern, sind sie erbitterte Monopolherren. Und das leitet sich alles von dem schlechtesten Konzept ab, das die Menschheit schaffen konnte: die unterstellte ‚Minderwertigkeit der Frau’. Ein Fehler, der die Entwicklung unserer Zivilisation vielleicht um Jahrhunderte verlangsamt hat.“ (Lucía Sánchez Saornil: Die Frauenfrage in unseren Reihen, in: „Solidaridad Obrera“ 26.9.1935 in Nash, S. 46) Proudhon ist ein Extrembeispiel. „Er hielt die Frau moralisch und intellektuell und in ihrer physischen Konstitution für minderwertig gegenüber dem Mann.“ (Nash, S.15)
Das Gründungsprogramm der CNT von 1911 meinte, „’dass gerade die Arbeit die moralische Erlösung der Frau, die heute der Vormundschaft des Mannes unter­worfen ist, bewirkt…’. Sexismus wurde nicht als eigenständiger Unterdrückungs­mechanismus anerkannt, sondern als Phänomen behandelt, das sich mit der sozia­len Revolution von selbst erledigen werde.“ (Lohschelder S. 118)
„Die Frauen der Arbeiterklasse tolerierten dementsprechend nicht die Forderung nach Abschaffung ‚ihrer’ Kirche. (…) Solange die Anarchisten nicht in der Lage waren, neue Möglichkeiten des Gemeinschaftslebens zu schaffen … und auch keine direkten Einflussmöglichkeiten für Frauen innerhalb ihrer Bewegung schufen, gab es keine Aussicht, die Unterstützung der breiten Massen von Frauen zu gewinnen.“ (Lohschelder S. 120)

c) Die formale Gleichberechtigung in der Republik
Nach der Ausrufung der Republik 1931 wurden eine Reihe von gesetzlichen Refor­men verabschiedet, um die rechtliche Situation der spanischen Frauen zu verbes­sern. Die Verfassung beinhaltete sogar mehrere Paragraphen, die die Gleich­stellung der Geschlechter in unterschiedlichen Bereichen (Recht auf Arbeit, Ehe­recht, Erziehung etc.) ausdrücklich festschrieben. In Bezug auf die rechtliche Situa­tion der Frauen war die Gesetzgebung des republikanischen Spanien mit Abstand die fortschrittlichste in Europa.“ (Lohschelder S. 117) „Das Recht auf Abtreibung und Verhütung wurde gesetzlich festgeschrieben. …
In der Praxis trugen diese gesetzlichen Maßnahmen jedoch nur wenig dazu bei, die Situation spanischer Frauen zu verbessern … Hier erfolgten die tatsächlichen Veränderungen erst mit der Revolution.“ (Lohschelder S. 118)

II Die Gründung der Mujeres Libres

„Drei Frauen gründeten die Organisation ‚Mujeres Libres’: Lucia Sanchez Saornil, Mercedes Comaposada und Amparo Poch y Gascon.“ (Nash S. 17) Die beiden ersten „entstammten Madrider Arbeiterfamilien und waren mit den gewerkschaft­lichen Kämpfen der 20er Jahre konfrontiert“ (Hellkerns), publizierten bereits zuvor in anarchistischen Medien, die dritte war Ärztin.
Anlass der Gründung im April 1936 waren „Schwierigkeiten und Feindseligkeiten im Umgang der Männer und Frauen miteinander in Kursen der CNT … , so dass einige der Frauen die Initiative ergriffen und getrennten Unterricht organisierten.“ (Behn / Mommertz, S.7) „Es fehlten Genossinnen …, die bei dieser Arbeit geholfen hätten. Um ein günstigeres Klima zu schaffen, brachte Lucía Sánchez Saornil die Idee auf, eine feministische Zeitschrift zu gründen, um weitere Frauen zu gewinnen.“ (Nash S. 62)

III Die Organisation und die Entwicklung der ‘Mujeres Libres’:

„In Barcelona hatte eine Frauengruppe namens ‘Grupo Cultural Femenino’ schon seit 1935 Bildungsarbeit geleistet.“ (Behn / Mommertz, S.7) „Mitte 1936 kam es zum Zusammenschluss dieser Gruppe mit den Madriderinnen.“ (Hellkerns) „Die lokalen Gruppen entstanden zumeist aus den Dorf- bzw. Stadtteilgemeinschaften und wur­den nicht von oben aus gegründet. … Bedeutend für ihre schnelle Entwicklung war die Euphorie der ersten Monate des Krieges, in denen die soziale Umwälzung in greifbarer Nähe schien.“ (Behn / Mommertz, S.7)
„Der erste Nationalkongress fand im September 1937 in Valencia statt. Die ‘Mujeres Libres’ organisierten sich föderalistisch auf der Basis der Autonomie der einzelnen Basisgruppen, keine Befehlshierarchie von oben nach unten, aber eine Bindung an die überregionalen Entscheidungen der Plena und Kongresse der Bewegung. Durch diese flexible Struktur waren die ‘Mujeres Libres’ aktions- und kampagnen­fähig.“ (Hellkerns)
„Unsere Föderation ist ein feministischer Block, der durch eigene Kraft weiter fortgeschritten ist. Auf eine Kerngruppe, die vor zwanzig Monaten zum ersten Mal ihren Willen äußerte, hat sich eine Föderation von 20.000 Frauen aufgebaut. Sie haben sich nicht im geringsten nach etwas gerichtet. Im Gegenteil: es gab einen gemeinsamen Nenner. Sie haben Arbeiten organisiert, Publikationen herausge­geben, sie haben kulturelle Zentren aufgebaut und dabei auch den Erneuerungs­geist des 19. Juli vertreten, etwas, was für viele sogenannte Revolutionäre der ersten Reihe so schwierig war.“ (Mujeres Libres, Nr.13, Nash, S.72)

IV Die Ziele

„1. Die Frau von ihrer dreifachen Versklavung zu befreien, … der Sklaverei durch Unwissenheit, der Sklaverei als Frau und der Sklaverei als Produzentin.
2. Aus unserer Organisation eine bewusste und verantwortliche weibliche Kraft zu machen, so dass wir eine Avantgarde innerhalb der revolutionären Bewegung bilden.
3. Die Unwissenheit zu bekämpfen, indem wir die Genossinnen kulturell und sozial schulen …
4. Einen gegenseitigen Austausch mit den Gewerkschaften, Ateneos und der Libertären Jugend einzurichten, um zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, die unsere revolutionäre Bewegung stärkt …
5. Zu einem echten Zusammentreffen zwischen Genossen und Genossinnen zu gelangen: zusammen leben, zusammen arbeiten und sich nicht ausschließen …
6. Einen starken Beitrag der Frauen für die konstruktive revolutionäre Aufgabe zu schaffen, indem dieser Bewegung Krankenschwestern, Lehrerinnen, Ärztinnen, Künstlerinnen, Kindergärtnerinnen, Chemikerinnen, intelligente Arbeiterinnen zugeführt werden …“
(Broschüre: Strukturen und Ziele der Mujeres Libres, in Nash S.64/65, Auszüge: Behn / Mom­mertz, S.9, Lohschelder, S.124)
„Die ‚Mujeres Libres’ führten also einen doppelten Kampf – die ‚doble lucha’: für die soziale Revolution (gemeinsam mit den männlichen Genossen) und für ihre eigene Befreiung als Frau … Ihr Kampf musste sich daher gegen zwei Gegner richten: gegen die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte und gleichzeitig gegen den Sexismus der eigenen ‘companeros’.“ (Lohschelder, S.123)
„Dabei verstanden sie sich nicht als Kaderpartei… Frauen könnten sich nur selbst befreien; die ‚Mujeres Libres’ verstanden sich dabei als Katalysator.“ (Hellkerns)
„Von ihrer anarchistischen Orientierung aus hielten ‚Mujeres Libres’ das Postulat aufrecht, die Zerstörung des Kapitalismus müsse mit der Abschaffung des Staates einhergehen.“ (Nash, S. 21)

V Die Arbeit der ‚Mujeres Libres’:

a) Die Bildungsarbeit
„In Barcelona, Madrid, Valencia errichteten sie eigene Institute (meist in Räumen der CNT), in denen u. a. Ausbildungskurse in Fremdsprachen, sozialen und techni­schen Berufen, angeboten wurden. Vor allem sollte die hohe Analphabetenrate unter spanischen Frauen verringert werden. Der Erfolg bei diesen städtischen Bil­dungsangeboten kontrastierte mit der sehr viel schwierigeren Situation auf dem Land.“ (Hellkerns)
„Grundlegender Bestandteil der Kampagne waren die Alphabetisierungskurse, denn insbesondere unter Frauen war die Analphabetenquote sehr hoch… Das Programm des ‚Casal de la Dona Treballadora’ (Haus der Arbeiterin) enthielt:
- Grundkurse: (Analphabeten und drei erste Stufen). Lesen, Schreiben, Kenntnisse in Rechnen, Geographie, Grammatik, Naturkunde.
- Erweiterte Grundkurs[e]: Weltgeschichte, Französisch, Englisch, Russisch, Maschineschreiben, Stenographie…
- Berufsbildende Kurse: Krankenschwester, Kindergärtnerin (mit den entsprechen­den Praktika in Krankenhäusern und anderen geeigneten Orten), Handel, Schnei­derei und Konfektion, … und in der Geflügelzucht mit den entsprechenden Praktika.
- Allgemeinbildung: Kurse in gewerkschaftlicher Organisation, Soziologie, … Wirt­schaft, wöchentliche Sitzungen zur allgemeinen Erweiterung der Kenntnisse.’
Das ‚Casal de la Dona Treballadora’ in Barcelona nutzten überwiegend Arbei­terinnen, die tagsüber ihrer Arbeit nachgingen und nachmittags bzw. abends am Unterricht teilnahmen, um sich fortzubilden oder einen Beruf zu erlernen. Ähnlich organisiert waren die ‚Institutes Mujeres Libres’ in Madrid, Valencia und Barcelona.“ (Behn / Mommertz, S.11)

b) Gegen die Prostitution
„Die Frage war für sie nicht, wie man die angeblich unmoralischen Frauen daran hindert, dieser Tätigkeit nachzugehen, sondern welche sozialen Missstände die Frauen dazu brachten, sich zu prostituieren. In von den Mujeres Libres organisierten Häusern konnten Prostituierte schlafen, sich medizinisch versorgen und bekamen Zugang zu wirtschaftlicher Unterstützung und Bildung.“ (Hellkerns) Und sie agitierten die Männer: „Behandelt nicht weiterhin jene Frauen rücksichtslos, denen als einziges Mittel zum Leben nur übrigbleibt, Eure Tyrannei als Käufer zu ertragen.“ (‘Mujeres Libres’, in ‘Ruta’ 21.1.1937, in Nash, S. 112)

c) Die Kolonne ‘Mujeres Libres’:
„Zumindest in den großen Städten wie Barcelona oder Madrid erlebten viele spanische Frauen ihre persönliche Befreiung mit dem Militärputsch Francos und dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1936.“ (Lohschelder S. 127) „In den ersten Tagen der Revolution ging die Mehrheit der Genossinnen und der Frauen aus dem Dorf zu den Milizen. Später, als die Armee militarisiert werden sollte, wechselten sie zur Nachhut über.“ (Sara Guillén, nach Behn / Mommertz, S.18)
„Ihre Aufrufe an alle Frauen, unermüdlich die soziale Revolution zu verteidigen, bezogen sich nicht auf den Einsatz an der Front, sondern nur auf die Nachhut. ‚Mujeres Libres’ widersprachen nicht dem Ausschluß der Frauen aus den Milizen.“ (Behn / Mommertz, S.18)

d) Geschlechterverhältnis und Frauenbefreiung
„Lucia Sänchez Saornil ging von der permanenten Unterdrückung der Frau durch den Mann aus: ‚… und so wurden die Jahrhunderte hindurch die Frauen in den von Männern gegründeten und von Männern geformten Gesellschaften auf die unterste Stufe der zoologischen Rangordnung verbannt.’ Sie erkannte, dass die andro­zentrisch organisierte Gesellschaft ununterbrochen versucht, die Frauen vom öffentlichen Leben auszuschließen und auf ihre Aufgabe als Mutter zu reduzie­ren.“(Behn / Mommertz, S.6) „So bestanden sie auf der Notwendigkeit, sich in einer separaten Frauenorganisation zusammenzuschließen, weil … Männer wie Frauen noch zu sehr in ihren traditionellen Rollen verhaftet waren, als dass diese sich in einer gemischten Struktur hätten aufbrechen lassen.“ (Lohschelder, S. 130)
„In keinem anderen Land der Welt erlebt die Arbeiterklasse den libertären Kommunismus so wie in Spanien. Der große Sieg der Revolution in den Juli-Tagen beweist die hohe revolutionäre Kraft des spanischen Arbeiters. Man hätte anneh­men können, dass er in seiner leidenschaftlichen Freiheitsliebe auch die Freiheit der Frau mit einschließen würde. Sehr weit davon entfernt, scheint aber die Mehr­heit der spanischen Männer nicht den Sinn der wahren Emanzipation zu verstehen, oder sie ziehen es – im anderen Fall – vor, dass sie von ihrer Frau weiterhin nicht verstanden wird. Viele Männer scheinen davon überzeugt zu sein, dass die Frau lieber weiter untergeordnet leben möchte. Man sagte auch, der Schwarze sei darüber erfreut, weiterhin Eigentum des Plantagenbesitzers zu bleiben. Aber es kann keine wirkliche Emanzipation geben, während noch ein Mensch über einen anderen herrscht oder eine Klasse über eine andere. Und die Emanzipation der Menschheit wird noch weniger zur Wirklichkeit, während ein Geschlecht das andere beherrscht.
…Jetzt ist es an Euch, Frauen Spaniens. Sprengt Eure Ketten, Ihr seid an der Reihe, Eure Würde und Identität zu stärken, mit Nachdruck Eure Rechte als Frauen zu fordern, als freie Persönlichkeiten, als Mitglieder der Gesellschaft, als Genossin­nen im Kampf gegen den Faschismus und für die soziale Revolution.“ (Emma Goldmann: Die soziale Situation der Frau, in: “Mujeres Libres”, Dez. 1936, in Nash, S. 87 – 89) In diesem Zusammenhang kritisierten sie auch klar die Rollenklischees. „Nicht die ist die bessere Mutter, die ihr Kind am festesten gegen ihre Brust drückt, sondern die, die hilft, für das Kind eine neue Welt zu schaffen.“ (“Mujeres Libres”: 4 Utopien, 4 Realisierungen, in Nash, S. 121)
„Im Gegensatz zur verbreiteten Geschlechterideologie vertraten ‚Mujeres Libres’ die Position, dass Männer und Frauen die gleichen Fähigkeiten hätten und Frauen deshalb die gleichen Rechte wie Männern zu stünden, sie aber auch das gleiche Maß an Pflichten übernehmen müssten. …
Die Hauptursache für die soziale Benachteiligung der Frau sei die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Mann. Sie sei der Faktor, der die Frauen hauptsächlich daran hindere, ihre Befreiung zu verwirklichen. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit werde noch verstärkt durch die traditionelle Bindung der Frauen an den Haushalt und die Kinder und den mangelnden Zugang zu Methoden der Geburtenkontrolle.
Die Konsequenz aus dieser Analyse ist die von den Mujeres Libres erkannte Notwendigkeit der Befähigung der Frauen; der Befähigung mit dem Ziel, Frauen zu überzeugten Kämpferinnen für die soziale Revolution zu machen. So richtete die Organisation Aufrufe an die Frauen, sich von der Herrschaft durch ihre Ehemänner oder Partner zu befreien und ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.“ (Lohschelder, S. 128)
„Die Frau muss als Gefährtin des Mannes, Mutter der Kinder und als sich entwickelnde eigene Persönlichkeit, als Frau in entscheidender Weise zur Überwindung der Männerrolle beitragen.“ (Soledad Estorach in: ‚Tierra y Libertad’ 3.12. 1938, in Nash, S. 66)
„Es geht weder um die Erhöhung der Löhne, noch um die mehr oder weniger anerkannten Rechte der Frauen, sondern um das zukünftige Leben… Von jetzt an muss sich jede Frau in ein bestimmtes und bestimmendes Wesen verwandeln… Die Alternative ist klar: Faschismus oder Revolution. Und Revolution bedeutet in keiner Weise ‘Sein’, sondern ‘Werden’. Davon werden unsere Illusionen, unser eigenes Streben berührt, und auch unsere Kinder sind davon betroffen. Unser heutiger Schwung, unsere Geschicklichkeit bilden im Ansatz die Grundlage für unsere künftige Entwicklung… ’ Frauen, zaudert nicht! Nehmt die Vernunft an und die Gefühle ernst. Beteiligt Euch an den gegenwärtigen Kämpfen, mit ; aller Energie und mit aller Dringlichkeit.“ (Editorial ‘Mujeres Libres’, April 1937, in Nash, S. 99)

e) Frauen in die Produktion
In vielen Artikeln und Aussagen wird, wie auch bei der FAI / CNT, ein sehr über­höhter Arbeitsbegriff deutlich, der nur zum Teil mit den Notwendigkeiten des Bürger­krieges erklärbar ist. In der Überhöhung der Arbeit unterscheiden sich die Anarchis­t_innen nicht wesentlich von den den Kommunist_innen und Sozialdemokrat_innen ihrer Zeit: „Die erste Pflicht der Frau als Lebewesen ist die Arbeit. Von diesem Prinzip gehen wir aus, ohne Ausnahmen zu akzeptieren … Arbeit ist das Gesetz des menschlichen Fortschritts.“ (Pilar Grangel, nach Behn / Mommertz, S.16)
„Die Organisierung der weiblichen Arbeitskraft war eine der Hauptaufgaben, die sich ‚Mujeres Libres’ gestellt hatten. Besonders gut gelang dies z. B. in der Madrider Gruppe, die Listen der arbeitsbereiten Frauen sowie ihrer Fähigkeiten auf­stellte und innerhalb kurzer Zeit ‚Arbeitssektionen’ für Transport, Gesundheit, Bekleidung, Metall und öffentliche Dienste errichtete. Dazu kam eine mobile Bri­gade, die Frauen ohne berufsspezifische Kenntnisse umfasste und überall, wo es gerade notwendig war, eingesetzt wurde. Auch in den anderen Regionen teilten sich ‚Mujeres Libres’ in verschiedenen Bereichen zugeordnete Gruppen auf, um ihre Mitgliederinnen so effizient wie möglich einzusetzen. … Sie intensivierten ihren Einsatz in den herkömmlichen Arbeitsgebieten der Frauen, z. B. in Schneider­werkstätten, Meiereien, Obst- und Gemüsegärten, ebenso wie sie traditionell männ­liche Aufgaben übernahmen. Als Beispiele lassen sich die Schulen für Mechanik, Metallverarbeitung und Kraftfahrzeugführung in Madrid, die Ausbildung von LKW-Fahrerinnen, Zugführerinnen und schaffnerinnen und die Übernahme der Fischerei in Barcelona anführen. In fast allen Städten, in denen sie aktiv waren, gründeten ‚Mujeres Libres’ Werkstätten, zum Teil relativ große, wie die für Metallverarbeitung in Madrid, in der zwanzig Genossinnen arbeiteten.“ (Behn / Mommertz, S.17)
„Sie initiierten gewerkschaftliche Vertretungen in den Bereichen, in denen viele Frauen beschäftigt waren. So organisierten sie z.B. im März 1937 eine Gewerk­schaft für die Arbeiterinnen im Transport
und Nahrungsmittelsektor.“ (Lohschelder, S. 125) Sie „versuchten auch zu erreichen, dass die militanten Frauen ihrer Organisa­tion an den verschiedenen Organen beteiligt würden, nicht nur als Militante an der Basis, sondern auch an der Leitung, sowohl auf der Ebene der Fabrikkomitees als auch bei den Gewerkschaftsräten der C.N.T.“ (Nash, S. 24)
In dieser Debatte agitierten sie auch für soziale Gleichheit: Wie müssen „die Anglei­chung der materiellen Bedürfnisse anstreben, mit dem gleichen Interesse, mit dem wir die Aufhebung der Grenzen geistiger Bedürfnisse anstreben, die authentischen Quellen eines authentischen Fortschritts. Dafür muss man mit der Abschaffung der Lohngruppen, der privilegierten Löhne beginnen, die neue Klassen und neues Übel schaffen.“ (Mercedes Composada in ‘Tierra y Libertad’, 27.2.1937, in: Nash, S. 97)

g) Kindererziehung und Reproduktionsarbeit
„Daneben unternahmen sie viele Anstrengungen, um den praktischen Alltag von Frauen zu erleichtern und ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, aus der Familienarbeit auszubrechen“ (Lohschelder, S. 125) „und führten eine große Kampag­ne für die Errichtung von kostenlosen Kinderkrippen in den Fabriken oder in den Arbeitervierteln durch. Neben dieser Kampagne forderten ‚Mujeres Libres’ die Schaffung von Volks-Speiseräumen für die Arbeiter beider Geschlechter, um die Arbeiterin von ihren Aufgaben zu Hause zu entlasten.“ (Nash, S. 32)

h) Schule und Pädagogik
„Wir sollten keine falschen Hoffnungen mit den Lehrern des kapitalistischen Regimes hegen… Wenn wir die Erziehung in ihren Händen belassen, werden die Konsequenzen nicht auf sich warten lassen.“ (Pilar Grangel, in ‘Mujeres Libres Nr.10, in Nash S.116) „Das Dringendste und Wichtigste im Erziehungsbereich ist im Augen­blick … Lehrer heranzubilden, die in der Lage sind, Kinder zu erziehen. Die Lehre­r_in der neuen Pädagogik muss: 1. … sich auf … schöpferische Fähigkeit stützen …, 2. … in jedem Augenblick die lebendige Wirklichkeit… entdecken, die sich bei jedem Kind und in jedem Augenblick ergibt … 4. …wird von jedem Kind lernen und wird jedem Kind etwas beibringen können. 5. innere Differentierung anwenden … //116/17// 6. …Preise und Strafen … verm[ei]den, ebenso … Wettbe­werb und … Rivalität …7. In den Klassen sollen wenige Kinder lernen. Wenn es mehr als zehn werden, wird die pädagogische Arbeit durch simplifizierte mechanische Methoden und Tricks unfruchtbar gemacht.“ (’Mujeres Libres’ Nov. 1936, in Nash S.116/117) „Unterricht im Freien, Musik, Düfte: Zu all dem Schönen hat die Menschheit ein Recht und noch mehr die Kindheit! …Wissen, ja!, weil es unverzichtbar ist. Aber noch unverzichtbarer ist es, uns selbst zu kennen. Wer von euch hat das in der Schule gelernt? Und im Leben: Hat man es euch mit Freude gelehrt? Alles nur mit Leiden! Nein, der Kult des Leidens ist im Übermaß religiös, katholisch. Auf uns wartet der Kult der Freude, der Glückseligkeit, der Natur.“ (Florentina in ‘Mujeres Libres’ Nr.12, in Nash S.119)

i) Sexuelle Befreiung
Seit 1925 widmete sich eine anarchistische Zeitschrift hauptsächlich dem Thema. (Nash S.14) Das Fazit der ‚Mujeres Libres’ war ernüchternd. „Es ist zwar bedauerlich, aber die Kampagnen für eine größere sexuelle Freiheit sind nicht immer von unse­ren jungen Genossen verstanden worden und haben in vielen Fällen eine große Zahl von Grünschnäbeln beiderlei Geschlechts angezogen, die sich kaum für die sozialen Fragen interessieren und die lediglich ein günstiges Feld für ihre amou­rösen Erfahrungen suchen. Es gibt sogar einige, die die Freiheit als eine Einladung zur Ausschweifung interpretiert haben und die in jeder Frau, die an ihnen vorbei­geht, nur ein Objekt für ihr Verlangen sehen.“ (Lucía Sánchez Saornil in Solidaridad Obrera, 30.10.35, in: Nash, S.55)
“Wir haben neulich gesagt, dass die Revolution bei uns selbst anfangen müsse. Wenn wir das nicht machen, werden wir die soziale Revolution verlieren – nichts mehr und nichts weniger. Unsere bourgeoise Mentalität wird die alten Konzepte nur mit neuen Kleidern versehen und sie dabei in ihrer Gesamtheit aber beibehalten. Man muss sehr auf diese kleinen Dinge aufpassen, die oftmals die besten Anzeichen für unsere fehlenden revolutionären Fähigkeiten sind.“ (Lucía Sánchez Saornil: Stunden der Revolution, in: Nash, S.55)

j) Die Zeitschrift ‚Mujeres Libres’:
„Ich habe die Zeitschrift der ‚Mujeres Libres’ ja mit der Zeitschrift einer kommunisti­schen Frauengruppe verglichen. Diese kommunistische Frauengruppe greift auf traditionelle Klischees zurück, es geht sehr viel um Mode und Schminken. Das kommt bei den ‚Mujeres Libres’ überhaupt nicht vor. Sie gehen davon aus, dass sich Frauen, genauso wie Männer, für Politik interessieren, vielleicht auch für histo­rische revolutionäre Vorbilder, und dass sie genauso zur Verbesserung der Situation beitragen möchten.“ (Bianchi)
„Die Herausgabe einer Wochenzeitung … in ‚einfacher Sprache’ …//30/31// unter dem geplanten Titel ‚Luchadoras’ (Kämpferinnen) scheiterte am Fehlen von Geld und in der fehlenden Unterstützung durch die Organe der libertären Bewegung“ (Nash, S. 30/31)

VI Leerstellen und Stärken der ‚Mujeres Libres’:
Aus heutiger Sicht gibt es einige Kritikpunkte. „Themen wie die … die Doppelbelas­tung berufstätiger Frauen oder die Definition von Hausarbeit als Arbeit behandel­ten ‚Mujeres Libres’ nur selten oder gar nicht“ (Behn / Mommertz, S.18/19), ebenso wenig beschäftigten sie sich „mit den traditionellen Vorstellungen über Weiblichkeit, Wesen und Rolle der Frau. Anstatt diese Stereotypen zu überdenken oder zu durchbrechen, setzten sie sie unkritisch ein und proklamierten sie, wenn es ihnen opportun erschien.“ (Behn / Mommertz, S.21)
„Die Anwendung biologisch-eugenischer Prinzipien“ (Bernecker, S.48) forderte auch die Denkschrift zum CNT Kongress im Mai 1936. Zum Prinzip des Mutterschafts­hauses von Barcelona gehört es „über das physiologische Funktionieren unseres Organismus, besonders unter dem eugenischen … Aspekt“ zu informieren „durch das der gesamte Prozess der Wünsche und das verwandtschaftliche Verhältnis während des restlichen Lebens bewusst kontrolliert wird.“ (Aurea Cuadrado, in ‘Mujeres Libres’ Jan. 1037, Nash, S. 123)
Andererseits wirkt die revolutionäre Perspektive der ‚Mujeres Libres’ doch wirklich erfrischend.

Literatur:
Silke Lohschelder: Mujeres Libres – Die Freien Frauen, in dies.: Anarchafeminismus, Unrast-Verlag, Münster 2000
Mary Nash: Mujeres Libres – Die Freien Frauen in Spanien 1936 – 1978, Karin Kramer Verlag, Berlin 1979
Sabine Behn, Monika Momertz: Mujeres Libres – Anarchistische Frauen in Revolution und Widerstand, Archiv – Syndikat A, Moers 2006
Johanna Hellkerns: Feministinnen in der Revolution – Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg, GWR 282, Okt. 2003
Vera Bianchi:, Interview 2003 linke-literaturmesse.org/8llm/aktuell1.htm
Vera Bianchi:, Lesung 2004 treibsand.servus.at/node/1246
Walther L. Bernecker; Kollektivismus und Freiheit, dtv-documente, München 1980