Bitte anonym einfügen:
Der 13. Februar ist für mich ein besonderer und irgendwie merkwürdiger Tag, den ich fast schon als persönlichen Feiertag ansehe. Vor ein paar Jahren, ich war damals schon im bürgerlichen Spektrum in meinem damaligen Wohnort gegen Nazis aktiv, hörte ich, dass die Nazis an der Synagoge vorbeimarschieren wollen. Vom 13. Februar und seiner Geschichte wusste ich damals nichts, aber die Frechheit, dass Nazis an der erst kürzlich errichteten Synagoge vorbeimarschieren wollten, machte mich unsagbar wütend. Selbst ohne große politische Vorbildung konnte ich mir ausmalen, dass von der bürgerlichen Demonstration keine große Gefahr für das Vorhaben der Nazis ausgehen würde. Aus diesem Grund suchte ich mir ein paar Bekannte, die ebenfalls etwas gegen Nazis hatten, belas mich im Internet über Dinge die mensch bei Blockaden beachten sollte und fuhr auf die Antifademonstration.
Sehr gut kann ich mich daran erinnern, dass damals Flugblätter von einem Gebäude am Startpunkt der Demo abgeworfen wurden. In den Flugblättern wurde die Bombardierung Dresden als militärisch völlig unnötig dargestellt – der Text stammte von Ulrike Meinhoff. Ich brauchte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, dass dieses Flugblatt von Nazis stammte und war anschließend ziemlich verwirrt, dass die Faschist*innen mit der RAF-Terroristin argumentierten. Mir fehlte so einiges an Hintergrundwissen.
Verwirrt – aber mit meiner Bezugsgruppe in Ketten gehend – startete ich also die erste Antifad-Demo meines Lebens. Die Sprechchöre die dort vielen, in denen der deutschen Bevölkerung die Pest an den Hals gewünscht und die alliierten Luftstreitkräfte immer wieder zu einer erneuten Bombardierung Dresdens aufgefordert wurden machten mir das alles nicht gerade verständlicher. Mein damaliges Unverständnis und mein heutiges Hintergrundwissen hat mir die Bedeutung von Vermittelbarkeit der eigenen Inhalte aufgezeigt, denn damals verstand ich keinen Meter von dem was die Antifas auf dem Lautsprecherwagen eigentlich von mir wollten. Wäre der Tag hier zu Ende gewesen, ich wäre wohl heimgefahren und hätte mit der Dresdner Antifa nie wieder etwas zu tun haben wollen.
Doch der Tag war nicht zu Ende. Eben hatte ich mich kurz von meiner Gruppe entfernt, da wurde die Demo aufgelöst und alles rannte in einem heillosen Chaos durcheinander. Die anderen waren in diesem Gewirr nicht ausmachbar, wohl aber eine Lücke in der Polizeikette. “Jetzt oder nie!”, dachte ich bei mir, nahm meinen Mut zusammen und stürmte mit einigen anderen auf die Lücke zu. Dummerweise bewegte ich mich am Rande des kleinen Mobs und wurde so von einem Beamten zu Fall gebracht, konnte mich aber wieder aufrappeln und in Richtung der Naziroute flüchten. Die nächste halbe Stunde (die mir wie eine Ewigkeit vorkam) rannte ich in der Altstadt hin und her, immer der Kleingruppe folgend, die am dynamischsten aussah. Auf diese Weise traf ich dann alsbald auch auf ein paar bekannte Gesichter, mit denen ich den Weiterweg bestritt. An der Brühlschen Terrasse (gerüchtweise war dies ein wichtiger Punkt, über die genaue Lage waren wir jedoch dank mangelnder Vorbereitung völlig im Unklaren) trafen wir mit einigen Leuten auf eine Hand voll Polizist*innen, die den weiteren Weg absperrten. Ich dachte “die paar Bullen sind kein Problem, schließlich sind wir viel mehr und die meisten eh schon vermummt” und nahm direkt Anlauf um sie umzurennen und weiter zu kommen. Allein es folgten von unserem Mob nur eben so viele Leute wie Polizeikräfte und so musste ich dieses Vorhaben frustriert verwerfen. Auch das war eine wichtige Erfahrung, dass mensch sich auf die Masse nicht zwangsläufig verlassen kann. Schon jetzt hatte ich mit ziemlich viel neuem Input zu kämpfen.
Über einige Schleichwege fand ich mich dann irgendwann an der Synagoge wieder und war beruhigt zu hören, dass dieser Punkt als halbwegs sicher galt. Ich ruhte mich ein wenig auf dem kleinen Hügel aus und wusste nicht genau, was nun zu tun sei. Die Nazis sollten über eine Nebenstraße geführt werden, hieß es. Nun war mein Ehrgeiz einmal geweckt und ich nahm mir vor, auch das nach Leibeskräften zu verhindern – wenn möglich. Doch erstmal passierte nicht viel. Ich organisierte mir einen Tee und beobachtete die Bullen, die uns langsam in die Zange nahmen. Ein Konvoi aus Polizeifahrzeugen näherte sich und sollte von der Schießgasse aus wohl die Brücke passieren. Die wenigsten Anwesenden hatten große Motivation dagegen viel mehr zu machen als ein paar anzügliche Sprechchöre zu skandieren und auch mir war diese kleine Truppenbewegung relativ egal – machte ich mir doch größere Sorgen um den Kessel aus Bereitschaftspolizei der sich um uns verdichtete. Eine junge Punkerin wollte es den Fahrzeugen jedoch nicht so leicht machen und tänzelte eine Weile singend vor dem vordersten Fahrzeug hin und her, so dass dieses stehen bleiben musste. Das Grinsen über diese Situation verging mir wenige Sekunden später, als ein Zug behelmter Cops angerannt kam und mehrere Beamte mit den Schlagstöcken auf sie einhämmerten. Dieser Anblick schockierte mich, machte mich benommen und später rasend. Sekundenbruchteile später versuchten einige Demonstrant*innen der Punkerin zur Hilfe zu eilen, einige Bullenzüge eilten wiederum den Kollegen zur Hilfe. Dann ging alles ganz schnell, ich erkannte die Lücke die sich im Kessel auftat und setzte mich augenblicklich, fast automatisch und immernoch völlig verstört in Bewegung. Das gleiche taten ca. 50-70 andere. Wir rannten als gäbe es kein morgen. Schnell entfernten wir uns von der übersichtlichen Straße auf denen uns die Polizei mit ihren Fahrzeugen überlegen war und tauchten ab in ein Wohngebiet. Der Lauf kam mir kilometerweit vor und tatsächlich überwanden wir sprintend eine ganz ansehnliche Distanz. Immer wieder räumten vermummte hastig Tonnen, Bauzäune und alles was sich sonst bewegen ließ hinter uns auf die Straße. Was mir im ersten Moment als sinnloser Vandalismus erschien, erkannte ich nach einem Blick hinter mich als sehr intelligente Maßnahme, denn uns war eine behelmte Hundertschaft mit gezogenen Schlagstöcken auf den Fersen. Mit diesem Wissen legte ich nochmal deutlich an Tempo zu und arbeitete mich vom Ende unseres Zuges an die Spitze vor. Klar war, dass wir im Begriff waren die Naziroute zu erreichen und mit unserem Einsatz einen menschenverachtenden Aufmarsch berhindern, wenn nicht gar aufhalten konnten. “Auf das sich die Geschichte nicht wiederhole!”, schoss es mir durch den Kopf. Was mich genau erwartete, davon hatte ich keinerlei Vorstellungen.
Wir erreichten wieder eine Straße und rannten entschlossen auf zwei große Flutscheinwerfer zu, was sich dahinter verbarg war nicht auszumachen. Ca. 50 Meter vor mir ließen sich einige vor den Flutlichtern mit Schwung auf den Asphalt fallen und verhackten sich ineinander. Ich mobilisierte die letzten Kraftreserven und rannte was das Zeug hielt zu den schon sitzenden, ließ mich fallen und hakte mich ein. Im selben Moment stieß ein Zug von Polizisten aus dem Flutlicht hervor und begann sofort sich auf uns zu stürzen. Hier machte ich die erste Erfahrung mit der Schmerzhaftigkeit von Polizeigriffen. Ich fixierte meinen gesamten Willen und Trotz darauf, nicht loszulassen und musste so einiges einstecken bevor ich den Kampf der Kräfte verlor und aus der Sitzblockade herausgerissen wurde. Im Augenwinkel konnte ich eben noch erkennen, dass sich bereits eine zweite, etwas größere Blockade gebildet hatte. Die Beamt*innen machten sich so eben daran, mich fest zu nehmen, als ich von den unseren wieder aus dem staatlichen Klammergriff entrissen wurde und sofort zur zweiten Sitzblockade taumelte und mich einhakte. Von unserer ersten Blockade waren nur zwei Menschen übrig geblieben die sich im Flutlicht mit aller Macht aneinander klammerten. Doch auch mir blieb nicht viel Zeit zum verschnaufen: Während die noch ankommenden Demonstrant*innen hinter uns eine dritte Sitzblockade bildeten, gingen die Polizeikräfte – nun schon sichtlich sauer – erneut ans Werk. Ich war guten Mutes, diesmal länger durchzuhalten als bei meinem ersten Versuch. Erneut wurde ich garnicht erst gefragt, ob ich freiwillig gehen wöllte, die Einhaltung dieser polizeilichen Vorschriften wäre wohl auch beiden Seiten in diesem Moment skurril erschienen. Stattdessen wurden sofort die üblichen, sehr schmerzvollen Techniken an Nase und Schläfe angewendet (der Bearbeitung meiner Handgelenke konnte ich mich entziehen). Als ich eine mich selbst überraschende Hartnäckigkeit bewies, verlor der Beamte die Geduld und schlug mir mehrfach mit seinen quarzsand-verstärkten Handschuhen ins Gesicht, wobei meine Nase brach. Entkräftet ließ ich los, doch ich war wohl während meiner Behandlung etwas zu pampig gewesen und so ließ er es nicht dabei beruhen. An einem Arm schleifte er mich über den Asphalt, trat mir mehrfach in die Rippen und deutete quälend oft an, meinen Kopf mit seinem Stiefel auf dem Straßenbelag zu zertrümmern. Kraft mich noch zu wehren spürte ich in diesem Augenblick nicht.
Als ich nach dieser Tortur in Richtung der Gefangenentransporter verbracht werden sollte, waren es wieder einige beherzte Leute die mich der Polizei entrissen und zurück in die Blockade brachten, wo ich auch gleich mit Trost, Schokolade, Tee und der möglichen Ersten Hilfe versorgt wurde. Es war mir in diesem Moment noch nicht bewusst, aber mit meiner Nase brach damals auch der letzte Rest Toleranz den ich bis dahin gegenüber der Exekutive und dem Staat hatte. Mensch hatte mir für die friedliche Verteidigung von Menschenrechten (wie eben nicht von mehreren tausend Nazis bedroht zu sein) ordentlich eins ins Fressbrett gegeben und damit waren die Fronten klar und für mich auch die Notwendigkeit zu Alternativen, die solche Phänomene nicht hervorbringen konnten.
An diesem Tag passierte nicht mehr viel, wir saßen endlose Stunden im winterlichen Nieselregen auf dem Asphalt und hielten unseren Punkt, bis die Polizei anderswo eine Umleitung durchgeprügelt hatte und die Nazis ihre Demo zu Ende bringen konnten. Zurück fuhr ich mit einer Fülle von Gefühlen, vordergründig körperlichen Schmerzen aber auch einem guten Gefühl mich, trotz der Gesamtniederlage, für meine Überzeugung eingesetzt zu haben. Nachfolgend stellte ich viele grundlegende Ideen und Gedanken meines bisherigen Lebens, meine Ziele und Wünsche aus einem neuen Blickwinkel in Frage und fand einen geschärften Blick für meine Umwelt. Der 13. Februar ist daher, neben seiner politischen Bedeutung und der jährlichen Auseinandersetzung mit militanten Neo-Nazis und revisionistischen Konservativen vor allem ein Tag an dem ich mich auch bewusst meiner politischen Entwicklung erinnere.
PS.: Meine Nase verheilte im übrigen gut und sieht heute, wie ich finde, wieder ganz passabel aus.