Aufruf / militant reflection / bremen (de)

Einladung zum militant reflection-Wochenende im Bremen vom 6. bis 7. Februar 2010. PDF-Dateien als Druck- und Kopiervorlage befinden sich unter Anhänge in der rechten Spalte.

10 Jahre nach Seattle . . .

Viel ist passiert, seit im Herbst 1999 tausende AktivistInnen in Seattle / USA ihren Widerstand gegen den WTO Gipfel auf die Straße trugen und das Treffen massiv behinderten. Weltweit hat seither die sog. “Anti/Alter-Globalisierungsbewegung” ihre Spuren durch die Zeitgeschichte des vergangenen Jahrzehnts gezogen. Die Schüsse in Goeteborg, der Mord an Carlo Giuliani, und die vielen Verletzten und Gefangenen dieser Bewegung sind uns dabei genauso präsent, wie die vielen Momente der Solidarität, gemeinsamer politischer Prozesse und des kollektiven Widerstands, die sie hervorbrachte. Die Geschichte der “Anti-Globalisierungsbewegung” ist von Anfang an auch die der autonomen, anarchistischen und linksradikalen, Gruppen die sich in ihr organisierten. Obwohl es im Rahmen von Gipfelmobilisierungen immer wieder gelang, Kristallisationspunkte zu schaffen und verschiedene politische Strömungen und Teilbereiche zusammenzubringen, verschwanden die Bündnisse und Netzwerke oft ebenso schnell wieder von der Bühne, wie sie entstanden waren. Über das „Event“ hinaus gelang es dabei kaum, die Gipfelproteste in soziale Bewegungen und Alltagskämpfe einzubetten. Gerade im Umgang mit der Weltwirtschaftskrise und den viel beschworenen “sozialen Unruhen” zeigt sich die undogmatische, radikale Linke schlecht vorbereitet, um in dieser Situation der Möglichkeit einer emanzipatorischen Gesellschaftsalternative neuen Raum zu schaffen.
Stattdessen betreibt sie business as usual, steckt in alten Gewohnheiten und Abwehrkämpfen fest. Die Gipfelproteste werden immer mehr zu einem berechenbaren Ritual und zum willkommenen demokratischen Beiprogramm der Veranstaltungen selbst.

Wir denken, es ist an der Zeit, sich die Entwicklungen, Aktionsformen und Erfahrungen der letzten Jahre in Ruhe anzuschauen und auch Kritik daran zu reflektieren, um daraus gemeinsam neue Strategien und Perspektiven zu entwickeln. Wir hoffen dabei auf einen offenen und hierarchiefreien Diskussionsprozess, der keine bestehende Gruppenpositionen reproduziert und möglichst viele Aktivist_innen miteinbezieht.

Dissent! Network of resistance

tauchte als Name erstmals in der Vorbereitung der Gegenaktivitäten zum G8-Gipfel 2005 in Gleneagels als Werkzeug zur Koordinierung des radikalen Widerstands gegen den Gipfel auf. Seitdem sind eigenständige dissent!-Strukturen in verschiedenen Ländern entstanden – mal zu einem ganz bestimmten Zweck und zeitlich begrenzt wie zum G8-Gipfel in Heiligendamm, mal auf längere Sicht und weniger spezifisch angelegt.
dissent! Netzwerke sind dezentral organisiert; ein Mittel zur Kommunikation und Koordination zwischen lokalen Gruppen und Arbeitsgruppen innerhalb des linksradikalen und anarchistischen Widerstands. dissent! Netzwerke stehen allen offen, die bereit sind, auf der Grundlage der peoples global action (PGA) Eckpunkte zusammenzuarbeiten (siehe Rückseite o. www.gipfelsoli.org).

Militant reflections

Um gemeinsame Strukturen und Perspektiven zu entwickeln, haben sich verschiedene Gruppen und Einzelpersonen aus dem Umfeld bestehender und ehemaliger dissent!-Zusammenhänge aus mehreren europäischen Ländern zusammengesetzt. Es geht darum, einen Raum zu schaffen bzw. eine Form zu finden um Tipps, Gedanken, gute/schlechte Erfahrungen auszutauschen und darüber hinaus in einen kontinuierlichen Diskussionsprozess miteinander zu kommen. Hierbei wollen wir uns nicht durch den von außen vorgegebenen Rhythmus von Massenmobilisierung bestimmen lassen. Zu diesem Zweck wurde eine international und dezentral organisierte, Veranstaltungs- und Diskussionsreihe mit dem Arbeitstitel „militant reflection“ angeschoben. In Paris, Freiburg und im Wendland ( Altmark) gab es hierzu bereits Treffen, auf dem „Autonomie-Kongress“ in Hamburg wurde thematisch ähnliches diskutiert. Des weiteren sind verschiedene Veranstaltungen in Frankreich (z.B. Lyon, Bordeaux) und Berlin geplant (Dez./Jan.2010), lose Planungen gibt es in Barcelona, Bern und Amsterdam. Dabei geht es nicht um eine abgehobene Theoriedebatte, sondern um eine praxisorientierte Auseinandersetzung.

Auch ihr seit Eingeladen euch in Bremen am 06./07.02.10 an „militant reflections“ zu beteiligen. Wünschenswert, aber nicht bindend, ist eine vorherige inhaltliche Auseinandersetzung. Wir wollen an bisherige Diskussonsergebnisse, aktuelle Papiere und unten stehende Fragen anknüpfen. Dies ist nicht als Vorgabe gedacht sondern als Anregung.

Wie lassen sich Bewegungsaufbau und Gesellschaftsveränderung konkret denken? Welches könnten die nächsten Schritte sein, um das in der Praxis zu verwirklichen?

Wie ist das Verhältnis zu lokalen Kämpfen? Wie diese unterstützen, aufgreifen, radikalisieren, initiieren? Wie sich verhalten im Spannungsfeld, zwischen radikalen Prinzipien und der reformistischen Realität vieler Kämpfe? Wie umgehen mit dem oft nicht gerade emanzipatorischen Alltagsbewusstsein ohne in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit szeneinterner Nabelschau zu verharren?

Mit welchen Aktionsformen wollen wir unsere Ziele vorantreiben und sind diese Aktionsformen zu jeder Zeit und an jedem Ort gleichermaßen sinnvoll? Wie können wir Ritualisierung und Fetischisierung durchbrechen? Wie läßt sich die viel beschworene „Vielfalt der Taktiken“ konkret verwirklichen?

Welchen Stellenwert haben Großmobilisierungen zu Gipfeln, Camps oder Castor? Wie lässt sich, an vergangene Erfolge konstruktiv anknüpfen? Wie ausbrechen aus den Berechnungen polizeilicher Großeinsätze? Wie steht es mit der Rückkopplung zu kontinuierlichen, lokalen Kämpfen? Wie lässt sich auf Camps, Kongressen, Veranstalltungen … Selbstorganisation realisieren? Wie lässt sich Selbstorganisation, gegenüber konsumistischen Bedürfnissen oder den Instrumentalisierungsabsichten einzelner Akteur_innen stärken?

Unter welchen Bedingungen macht Bündnisarbeit mit refomistischen Organisationen, NGO`s, Gewerkschaften oder auch linken Organisationen mit autoritären Strukturen Sinn? Wie lassen sich in Bündnissen nicht hierachische Entscheidungs- und Organisierungsstrukturen initiieren oder stärken? Wie Dominierungs-, Manipulations- und Instrumentalisierungsbestrebun gen einzelner Akteur_innen erkennen und darauf reagieren? Wie eigenen Zielvorstellungen, in Bündnissen Geltung verschaffen, ohne Gefahr zu laufen sie dabei zu dominieren?
Welchen Umgang mit „Sex“ und „Gender“ wollen wir in unseren Zusammenhängen und aus Bündnisstrukturen hervor gegangenen Aktionen und Camps etc.? Wie können antipatriarchale Selbstverständnisse, in unseren Zusammenhängen neu formuliert und erkämpft werden? Wie männliche Hegemonie in „Szene“strukturen auflösen? Wie antisexistische Praxen im Alltag integrieren? Wie umgehen mit Sexismus in- und außerhalb unserer Strukturen?

Wie Rassismen in unseren Strukturen weitergehend erkennen, thematisieren und reflektieren? Warum bewegen sich in unseren Strukturen so wenig Menschen mit Migrationshintergrund? Wie kann eine gemeinsame politische Arbeit aussehen, ohne Gefahr zu laufen „Stellvertreter_innenpolitik“ zu praktizieren?

Welche Erfahrungen mit Repression gibt es und wie kann ein kollektiver Umgang damit gefunden werden? Von welchen Gruppen wird Antirepressionsarbeit getragen wer fühlt sich zuständig? Wie kann konkrete Unterstützung für von Repression Betroffene weiterentwickelt und umgesetzt werden? Wie und wann lassen sich Gerichtsverfahren politisch führen? Wie kann Traumatisierung als Folge von staatlicher Repression thematisiert und wie können Betroffene aktiv unterstützt werden?

Stichwort Öffentlichkeitsarbeit – lassen sich emanzipatorische Kritik und Perspektiven über etablierte Medien verbreiten? Wo sich im Umgang mit etablierten Medien verorten zwischen den Polen „Pressearbeit professionalisieren“, “Subversive Kommunikation“ und „zur Presse keinen Ton“? Welche Medien stehen für eigene Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung und wie lässt sich mit ihnen eine größere verbreiten erreichen? Welche Gewichtung besteht zwischen regionalen und überregionalen eigenen Medien? Sollten in Bremen neue eigene Medien entstehen?

Wie die persönliche Existenzsicherung gestalten und zugleich flexibel bleiben, sich in wichtige Mobilisierungen und Kämpfe einzubringen? Welche Strukturen erlauben es der verbreiteten Vereinzelung mit kollektiven/solidarischen Lösungsansätzen entgegenzutreten? Wie bei sich und anderen „Burnout“ vorbeugen? Wie kann eine Praxis realisiert werden die davon betroffene Menschen auffängt?

Wir hoffen das die stattfindenden Diskussionen etwas dazu beitragen , uns weiterhin lokal und international zu vernetzen und den militanten Widerstand zu organisieren . Zusammenfassungen aller Veranstaltungen sollen im Netz veröffentlicht werden (momentan auf www.gipfelsoli.org), außer in der Landessprache mindestens in Englischer Übersetzung, damit die diskutierten Themen auch international aufgegriffen werden können. Perspektivisch werden die Ergebnisse auf einem internationalen Treffen, auf dem auch zukünftige gemeinsame Aktivitäten diskutiert werden können, ausgewertet.

Wir hoffen, dass die stattfindenden Diskussionen etwas dazu beitragen, uns weiterhin lokal und international zu vernetzen und den militanten Widerstand zu organisieren . Zusammenfassungen aller Veranstaltungen sollen im Netz veröffentlicht werden (momentan auf www.gipfelsoli.org), außer in der Landessprache mindestens in englischer
Übersetzung, damit die diskutierten Themen auch international aufgegriffen werden können. Perspektivisch sollen die Ergebnisse auf einem internationalen Treffen, auf dem auch zukünftige gemeinsame Aktivitäten diskutiert werden können, ausgewertet werden.

Um besser planen zu können wäre es nett wenn ihr ungefähr sagen könntet mit wie vielen Menschen ihr kommt. Dafür
könnt ihr eine Mail an: dissent-info@riseup.net schicken. (PGP-key vorhanden) Ihr könnt aber auch gerne spontan
kommen.

PGA Eckpunkte

1. Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus; und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen welche die zerstörerische Globalisierung vorantreiben.
2. Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab, einschließlich aber nicht beschränkt auf Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir erkennen die vollständige Würde aller Menschen an.
3. Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind;
4. Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus.
5. Eine Organisationsphilosophie die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist.