Interventionsmöglichkeiten (World Cafe)¶
Fragen:
- Sind Gipfelproteste noch Interventionsmöglichkeiten?
- Ist die Anti-Globalisierungsbewegung tot? Und wenn ja, was kommt dann?
- Wie entsteht eine Revolte und wer trägt sie ?
- Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es vor Ort?
Sind Gipfelproteste noch Interventionsmöglichkeiten – Ist die Anti-Globalisierungsbewegung tot? Und wenn ja, was kommt dann?
Gipfelproteste verkämen zu normalen Begleiterscheinungen von Gipfeln und würden somit instrumentalisiert als „gute Demokratie“. Es fehle in Gipfelprotesten an eigenen Schwerpunkten, da diese immer von außen aufgesetzte Events seien. Gipfelproteste verliefen zudem „wellenförmig“ – kurze, starke Intensität von Aktivitäten, dann rasches Abflauen. Andererseits gäbe es hier die Möglichkeit kurzfristig viele Leute zu mobilisieren und politisieren. Um diese Menschen in „nicht subkulturellen“ Strukturen aufzufangen und einzubinden fehle es allerdings an kontinuierlichen lokalen und globalen Strukturen.
Als falsch wurde es in der Diskussion angesehen, wenn nur Politaktivist_innen sich untereinander vernetzen. Vernetzung müsse immer in realen lokalen Kämpfen zu verorten sein und auch von ihnen getragen werden. Es dürfe jedoch nicht vergessen werden , dass die Vorbereitung von Gipfelprotesten immer auch Kapazitäten aus lokalen Kämpfen ziehe. Hier stellte sich die Frage nach der Kontinuität der Kontakte und Vernetzung zwischen lokalen und globalen Aktivist_innen.
Die Ziele, langfristige Selbstorganisierung/Strukturen/Organisierung aufzubauen oder öffentliche Diskurse zu beeinflussen, wurden nicht als zwangsläufige Widersprüche diskutiert.
Gipfelproteste können Debatten anstoßen, Öffentlichkeit für globale Zusammenhänge etc. schaffen , allerdings befänden sie sich immer auch in der Abhängigkeit von Mainstream-Medien als Vermittler.
Wie entsteht eine Revolte und wer trägt sie ?
In der Diskussion wurde ganz knapp definiert, eine Revolte sei eine Revolution im Kleinen, also eine temporäre Umwälzung der Verhältnisse. [Dieser Definition wurde in der ausführlichen Arbeitsgruppe zum Thema am Folgetag vehement widersprochen – siehe Protokoll der Arbeitsgruppe]
Wie entsteht eine Revolte?
Hier standen sich folgende drei Thesen gegenüber:
- Revolten könnten nicht vorbereitet werden, sie entstünden/entwickelten sich selbstständig. Damit sich eine Revolte in eine emanzipatorische Richtung entwickele, müssten bestimmte Strukturen mitgestaltet werden, ohne diese vorzugeben (es sollte eine offene gesellschaftliche Situation bleiben).
- Revolten entstünden nicht von alleine, sie bräuchten „Aufhänger“. Vorbereitungen könnten und sollten getroffen werden, diese könnten verschiedenste Formen haben, z.B. alternative Wege aufzeigen, Strukturen schaffen. Auch die Auflösung der Trennung von Politischem und Privatem könne vorbereitend helfen. Vorbereitung helfe auch dabei, längere Revolten entstehen zu lassen.
- Die Revolte entwickele sich zwar, sie brauche aber zur Entwicklung in eine emanzipatorische Richtung eine entsprechende Umgebung. Breite Teile der Bevölkerung bräuchten eine Idee, wie es anders laufen könne (Bsp: Im Vorfeld des spanischen Bürgerkriegs: 30 Jahre zunehmende Auseinandersetzung über die Gestaltung der nachrevolutionären Verhältnisse innerhalb breiter Teile der Bevölkerung)
Der Kommunikation über und in Revolten wurde in der Diskussion allgemein eine besondere Bedeutung beigemessen. Eine sich verändernde Sicht auf Kollektivierung und Individualität sei notwendig und hierdurch erreichbar.
Eine Veränderung der Wahrnehmung von gesellschaftlichen Realitäten und Einschätzungen von Situationen bzw. Entwicklungen sei vor Revolten wichtig. Die Zuspitzung und Eskalation von gesellschaftlichen Konflikten habe hierbei nicht zwangsläufig negativen Folgen.
Revolten begännen im Kleinen, mit der persönlichen Emanzipation. Die Revolte solle selbst schon gelebte Utopie sein, war eine Forderung in der Debatte.
Gipfelproteste könnten als Teilbereiche von Revolten gesehen werden; sie könnten als Ausgangspunkt/Katalysator von Revolten funktionieren.
Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es vor Ort?
Für kontinuierliche Intervention in „eine“ Richtung, sei ein höheres Maß an „Organisierung“ nötig als ein einzelnes Event vorzubereiten und möglichst viele Leute hinzumobilisieren.
Für konkrete Vorschläge von Interventionen vor Ort, sei Nachfragen das geeignete Mittel ;)
Wichtig sei es, für direkte Aktionen zu sensibilisieren: „mensch sieht was, redet darüber und irgendwer machts…“
Interventionsmöglichkeiten (AG)¶
Fragen:
- Sind Gipfelproteste noch Interventionsmöglichkeiten? Ist die Antiglobalisierungsbewegung tot und wenn ja, was kommt dann?
- Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es vor Ort?
- Wie entsteht eine Revolte und wer trägt sie?
Zu 1:
Zu Beginn der Diskussion wurde festgestellt, dass sowohl Gipfelproteste als auch die Antiglobalisierungsbewegung innerhalb der breiteren linksradikaler Bewegung eine wichtige Bedeutung hätten. In ihren Zielen, ihrer Ausrichtung, Zusammensetzung und Bedeutung verändere sie sich jedoch von Event zu Event – beeinflusst auch vom jeweiligen Ausrichterstaat.
Als sinnvolle Fragmente der Proteste wurden genannt:
- vermehrte Vernetzung sowohl auf lokaler wie auf internationaler Ebene
- die Proteste führten zu verstärkter Diskussion, besserem Kennenlernen und mehr Austausch
- es entstünden dabei Dynamiken, welche in ihrer Intensität sowohl für Einzelne als auch für Zusammenhänge neue Erfahrungen brächten
- sie bildeten eine international wahrnehmbare Plattform für Kritik am Kapitalismus
- die Proteste führten dazu, dass die Politik der jeweiligen Staatschef_innen nicht mehr oder nur einseitig aus ihrem für sich selbst werbenden Selbstverständnis heraus dargestellt werden können
- die Gipfelproteste seien aufgrund der Proteste keine reinen Glamourveranstaltungen von vorgetäuschter Harmonie und kapitalistischer Perspektive inklusive Scheingefechten. Anfänglich sei dies eine ihnen zugedachte Begleiterscheinung gewesen.
- Durch die Massen- und militanten Proteste seien sie gezwungen, sich tendenziell an Küsten in Bergen oder auf Inseln zurückzuziehen bzw. sich einzumauern
Den bisher genannten positiven Effekten der Gipfelproteste wurden folgende kritische und negative Aspekte gegenübergestellt:
- Gipfelproteste seien Begleiterscheinungen bzw. Reaktionen auf von außen gesetzte Events und würden somit leicht instrumentalisiert – als Teil „guter Demokratie“ präsentiert bzw. von NGOs umgenutzt. Eigene inhaltliche Schwerpunkte fehlten oder kämen nicht zum Tragen
- Dem fast ausschließlich von Mainstreammedien dargestellten Protest und der Vereinnahmung durch selbst ernannte Wortführer_innen als Bewegungssprecher_innen werde zu wenig bis fast nichts entgegen gesetzt
- Die in den vorgegebenen Zyklen der Gipfelproteste liegende Wellenförmigkeit der Proteste erzeuge eine kurze Intensität von Aktivitäten, gefolgt von raschem Abflauen
- Den positiven Momenten, durch Gipfelproteste kurzfristig viele Leute zu mobilisieren und zu politisieren, wie auch der Vernetzung von „nur“ Politaktivist_innen untereinander wurde entgegengestellt, dass außerhalb der subkulturellen keine auffangenden bzw. kontinuierlichen Strukturen existierten, um diese mobilisierten Menschen dauerhaft einzubinden
- Angemerkt wurde auch, dass die Vorbereitung der Gipfelproteste Kapazitäten aus lokalen Kämpfen abziehe.
Perspektivisch wurden folgende Fragen aufgeworfen:
- Wie lassen sich die Gipfelstörungen STRATEGISCH entwickeln?
- Was ist sinnvoll, was ist Pop und Modezeitgeist?
- Sind Störungen effektiver durch dezentrales Handeln an „bullenfreien“ Orten?
- Wie lassen sich lokale Reflektionen von Massenaktionen verbessern?
- Wie und wo werden „wir“ überhaupt handlungsfähig?
- Masse um welchen Preis (bezüglich eigener Handlungsfähigkeit)?
- Wie bewerten oder nutzen wir die Folgen und massiven Einschränkungen, welche die Gipfel produzieren?
Bietet der immense Gipfelschutz allein schon inhaltliche Angriffsfläche? - Warum, wozu dieser? Angst – vor wem oder was? Terror, Proteststörung oder gar nur Übungsfeld?
Erstes Fazit:
Zur Verbesserung der Perspektive sollten dauerhafte, selbstorganisierte Strukturen auf- und ausgebaut und/oder der öffentliche Diskurs beeinflusst werden.
Um
- inhaltlich zu agieren und eigene Akzente zu setzen
- besser wahrgenommen zu werden und selbst vermitteln zu können
- Gipfelproteste in realen lokalen und dezentralen Kämpfen zu verankern, die diese dann auch tragen können und anschlussfähig seien
- Gipfelproteste und kontinuierliche Basiskämpfe wechselseitig nutzen zu können auch im globalen Austausch
- ein rasches Abflauen abzubremsen und die Zwischengipfelperioden stärker auszufüllen
Vorschlag zur weiteren Diskussion:
- Wie können „wir“ Voraussetzungen für die Verbesserung der Perspektive schaffen, lokal verankern und gleichzeitig global vernetzen?
- Was ergeben die zur Perspektive aufgeworfenen Fragen?
Zu 2:
Die Frage der Interventionsmöglichkeiten vor Ort wurde nur gering eigenständig behandelt. Aspekte dieser Frage finden sich allerdings in der Beschäftigung mit Frage 1 und 3. Im Rahmen der Frage 2 wurde lediglich festgestellt, dass
- kontinuierliche Intervention in eine Richtung ein höheres Maß an Organisierung bedürfe als einzelne Events vorzubereiten
- konkrete Vorschläge für Interventionen vor Ort nachgefragt werden sollten (es gebe lokale Gegebenheiten von kontinuierlicher Arbeit zu Teilbereichen und Foren wie Plena, VVs usw. die recht leicht Anknüpfungspunkte bieten). * Für direkte Aktionen sei zu sensibilisieren, mensch sehe etwas, rede darüber, irgendwer mache es.
Zu 3:
Mit dieser Frage wurde sich wiederum eingehend beschäftigt. Innerhalb des World Cafes hatte eine Runde den Begriff der Revolte folgendermaßen definiert: Eine Revolte sei eine Revolution im kleinen und temporäre Umwälzung der Verhältnisse. Dieser Begriffserklärung wurde in der aktuellen Diskussion der AG entschieden widersprochen (siehe weiter unten). Einige Bemerkungen richteten sich anfangs gegen das Revolutionieren an sich. Dagegen sprächen gegenwärtige „szenetypische“ Strukturen wie kleine Gruppe(n), Sektencharakter, keine gesellschaftliche Relevanz, überholte Geschichte, verheizen bis 30, aktuell fehlende Freiräume führten zu Überforderung bei Revoltekonzepten.
Zum Zustand der Isolation kleiner Gruppen und zur Überforderung der Einzelnen wurde auf szeneübliche Probleme verwiesen, z.B. mangelnder Umgang mit Traumata und Burnout, hoher Druck, hohe Ansprüche von Innen und Außen; die Kommunikation mit dem „Rest der Welt“, das Transportieren eigener Inhalte, Nutzen eigener Symbolik in Bezug auf Mainstreammedien; Bezuglosigkeit zu eigenen Alltagsproblematiken. Auch die Kommunikation untereinander wurde problematisiert: Akademisches Reden, ausgrenzende Sprache, Kodexe, Fachsprech, hohe Ansprüche, unterschiedliche Bildungshintergründe, Angst wegen undurchschaubaren „Benimmregel-Diskursen“, subkulturelles Gehabe und häufige Unverbindlichkeit.
Zur Unterfrage „Wie entsteht eine Revolte“ wurde anfänglich sehr kontrovers diskutiert.
[Zitat aus dem World Cafe Protokoll]
- Revolten könnten nicht vorbereitet werden, sie entstünden/entwickelten sich selbstständig. Damit sich eine Revolte in eine emanzipatorische Richtung entwickle, müssten bestimmte Strukturen mitgestaltet werden, ohne diese vorzugeben (es sollte eine offene gesellschaftliche Situation bleiben).
- Revolten entstünden nicht von alleine, sie bräuchten „Aufhänger“. Vorbereitungen könnten und sollten getroffen werden, diese können verschiedenste Formen haben, z.B. alternative Wege aufzeigen, Strukturen schaffen. Auch die Auflösung der Trennung von Politischem und Privatem könne vorbereitend helfen. Vorbereitung helfe auch dabei längere Revolten entstehen zu lassen.
- Die Revolte entwickele sich zwar, sie brauche aber zur Entwicklung in eine emanzipatorische Richtung eine entsprechende Umgebung. Breite Teile der Bevölkerung bräuchten eine Idee, wie es anders laufen könne (Bsp: Spanischer Bürgerkrieg: 30 Jahre zunehmende Auseinandersetzung über die Gestaltung der nach-revolutionären Verhältnisse innerhalb breiter Teile der Bevölkerung)
Kommunikation über und in Revolten wurde in der Diskussion allgemein eine besondere Bedeutung beigemessen. Eine sich verändernde Sicht auf Kollektivierung und Individualität sei notwendig und hierdurch erreichbar.
Eine Veränderung der Wahrnehmung von gesellschaftlichen Realitäten und Einschätzungen von Situationen bzw. Entwicklungen sei vor Revolten wichtig. Die Zuspitzung und Eskalation von gesellschaftlichen Konflikten habe hierbei nicht zwangsläufig negative Folgen.
Revolten begännen im Kleinen mit der persönlichen Emanzipation. Die Revolte solle selbst schon gelebte Utopie sein, war eine Forderung in der Debatte.
[Zitat]
Die Diskussionsrunde des zweiten Tages versuchte auf Grundlage der Kontroversen des ersten Tages zunächst eine Begriffsklärung.
Zunächst wurde in dieser Runde festgestellt, dass eine Revolte eben keine Revolution, auch nicht im Kleinen sei. Revolten seien temporäre Aufstände als Reaktion auf schwer auszuhaltende Zustände, emotionale Lagen etc. Sie seien nicht zielgerichtet und würden oft zerschlagen oder beendeten sich selbst. Revolten könnten zu politisch-emanzipatorischen Themen entstehen oder auch nicht bzw. gegenteilig sein. Revolten bedürfen weder einer Agenda noch einer Perspektive.
Einschub: Revolte [frz.] – Aufruhr, bewaffneter Aufstand. Revolution [frz.] – gewaltsamer Umsturz der bestehenden politischn und sozialen Ordnung.
Zur Frage der Revolte wurde diskutiert
- politische, zielgerichtete verantwortungsvolle Momente könnten und sollten vorbereitet und in die Situation einer Revolte hineingetragen werden
- Revolten böten die Möglichkeit/den Rahmen, in denen Beteiligte eine andere Dynamik, plötzliche Aufhebung von Vereinzelung usw., erleben und nutzen könnten
*Bei der Intervention in Revolten sollte nicht in Misserfolgen geplant sondern ein wie auch immer gearteter Erfolg mitgedacht werden, um dann nicht durch Überraschung gelähmt zu sein, wenn sich neue Möglichkeiten auftäten. - Wenn im Voraus organisiert werde und Strukturen vorhanden seien, stärke dieses das Potential einer Revolte eventuell auch zeitlich (über ein paar Tage hinaus).
Vorläufige Fazit der Diskussion:
- Um bei einer für die Zukunft erwarteten Revolte besser intervenieren zu können, sei es erforderlich, im Vorfeld mehr Auseinandersetzung über Militanz, Gewaltbegrifflichkeiten und Geschichte von Revolten und Revolutionen zu führen.
- Beim Begriff der Militanz immer wieder wichtig, dass es dabei nicht nur um Steineschmeißen usw. ginge.
- Dem Begriff eher gerecht würde eine gesamtkämpferische, antagonistische Lebensweise.
- Zum Gewaltbegriff gehöre die Erkenntnis, dass „wir“ immer und überall struktureller Gewalt ausgesetzt seien
Es wäre sehr wünschenswert, diese Punkte weiter zu diskutieren und Begriffsdefinitionen sowie Defizite unserer Strukturen herauszuarbeiten, um diese überwinden zu können.
Glossar:
intervenieren: sich einmischen, einem prozess beitreten, eingreifen
Katalysator: in diesem Zusammenhang: Beschleuniger
emanzipatorisch: aus Abhängigkeiten befreiend, Unterdrückungsverhältnisse überwindend
antagonistisch: im Widerspruch zu etwas stehend, gegnerisch