Kropotkin und der geldfreie Anarcho-Kommunismus¶
im Rahmen unserer Reihe
Umsonstökonomie – Offene Diskussionsrunde
(monatl.) zu Umsonstökonomie und Selbstorganisation auf Basis kurzer Texte
In “Die Eroberung des Brotes” hat Kropotkin sich ausführlich mit den gesellschaftlichen Umbrüchen nach einer sozialrevolutionären Revolution und den verschiedenen Konzepten dazu auseinandergesetzt.
Ein Aspekt dabei ist die von ihm dargelegte Notwendigkeit der Abschaffung von Privateigentum an Produktionsmitteln und von Geld und der Aufbau einer Ökonomie die von den Bedürfnissen der Menschen ausgeht.
Wir haben zu diesem Aspekt einige kurze Passagen zusammengestellt und wollen das mit euch lesen und darüber mit euch diskutieren
1. Die Aufgaben der sozialrevolutionären Umwälzung
„Tatsächlich haben sich in unseren Gesellschaften Verhältnisse etabliert, die man praktisch unmöglich ändern kann, wenn man sie nur teilweise attackiert. Die diversen Räderwerke unserer ökonomischen Organisation sind so eng ineinander verzahnt, dass man nicht eins modifizieren kann, ohne sie in ihrer Gesamtheit zu modifizieren; man wird das feststellen, sobald man irgendetwas enteignen will.“ (S. 63)
„Wir begreifen daher, dass unter diesen Bedingungen die Handarbeit als ein Fluch des Schicksals angesehen wird. Wir begreifen, dass ein jeder nur davon träumt, aus diesem minderwertigen Zustand zu entkommen oder es wenigstens seinen Kindern zu ermöglichen, sich eine »unabhängige« Stellung zu schaffen – und was bedeutet das anderes, als ebenfalls von anderer Leute Arbeit zu leben? Solange es eine Klasse von Handarbeitern und eine andere von »Kopfarbeitern«, solange es schwarze und weiße Hände gibt, wird das so bleiben.“ (S. 165)
„Insofern unsere ganze bürgerliche Zivilisation auf Ausbeutung tieferstehender Rassen und industriell zurückgebliebener Länder basiert, wird die erste Wohltat der Revolution schon darin bestehen, dass sie diese »Zivilisation« bedroht, indem sie den sogenannten tieferstehenden Rassen sich zu emanzipieren gestattet. Aber diese gewaltige Wohltat wird sich in einer sicheren und beträchtlichen Verminderung der Lebensmittelzufuhr für die westeuropäischen Großstädte ausdrücken.“ (S. 90)
„Seien wir uns darüber im Klaren: eine Revolution, die sich an den schönen Worten Freiheit, Gleichheit und Solidarität berauschte und gleichzeitig die Herdsklaverei aufrechterhielte, wäre keine Revolution. Dann hätte immer noch die eine Hälfte der Menschheit, die der Sklaverei des Küchenherds unterworfene Hälfte, gegen die andere Hälfte zu rebellieren.“ (S. 141)
2. Über die Unmöglichkeit von gerechtem Lohn
„Es ist absolut unmöglich, zwischen den Leistungen der Einzelnen irgendwelche Unterschiede zu machen. Die Arbeit nach den Ergebnissen zu beweiten, führt ins Absurde. Sie zu zerlegen und nach Arbeitsstunden zu messen, führt ebenfalls ins Absurde. Es bleibt nur eins: die Bedürfnisse über die Leistungen zu stellen und vor allem anderen das Recht auf Leben anzuerkennen… “ (S. 193)
„»Die Leistungen jedes Einzelnen!« Aber die menschliche Gesellschaft überlebte keine zwei Generationen, sie ginge binnen 50 Jahren unter, gäbe nicht ein jeder unendlich viel mehr, als er in Geld, in »Gutscheinen« oder in Form von bürgerlicher Anerkennung zum Lohn erhält. Das Menschengeschlecht wäre bald ausgelöscht, setzte eine Mutter nicht ihr Leben ein, um das ihrer Kinder zu retten, gäbe nicht jeder Mensch etwas, ohne mit einem Lohn zu rechnen, gäbe er nicht gerade dort etwas, wo er keine Entschädigung erwartet.“ (S. 195)
3. Eigentum ist private Aneignung kollektiver Arbeit
„Nicht der Eigentümer hat das Haus gebaut; errichtet haben es Hunderte von Arbeitern, und sie haben es auch dekoriert und tapeziert. Hunger hat sie auf die Bauplätze getrieben und Notdurft sie gezwungen, einen viel zu geringen Lohn zu akzeptieren.
Das von dem vorgeblichen Eigentümer investierte Geld war kein Produkt eigener Arbeit. Wie jeden Reichtum hatte er es akkumuliert, indem er den Arbeitern zwei Drittel oder gar bloß die Hälfte von dem zahlte, was er ihnen schuldete. Schließlich – und gerade hierbei springt das Ungeheuerliche der ganzen Geschichte in die Augen – bewirkt den aktuellen Wert des Hauses der Profit, den der Eigentümer daraus zieht. Der Profit verdankt sich wiederum dem Umstand dass das Haus in einer gepflasterten Straße einer gasbeleuchteten Stadt steht, die regelmäßige Verkehrsverbindungen zu anderen Städten unterhält und über Industrie-, Handels-, Wissenschafts- und Kunstetablissements verfügt; dass Brücken, Kais und Architekturdenkmäler die Stadt zieren und sie den Einwohnern auf Dörfern unbekannten Komfort und Annehm- (S….94)
lichkeiten in tausenderlei Gestalt bietet; daß 20 oder 30 Generationen sie wohnlich, gesund und schön gemacht haben.
In einigen Vierteln von Paris beträgt der Wert eines Hauses eine Million, nicht weil die in seinen Mauern repräsentierte Arbeit eine Million wert wäre, sondern weil es in Paris liegt. Weil Arbeiter, Künstler, Denker, Wissenschaftler und Literaten Paris in Jahrhunderten zu dem gemacht haben, was es heute ist: ein Zentrum der Industrie, des Handels, der Politik, der Kunst und der Wissenschaft. Weil Paris eine Vergangenheit besitzt. Weil die Literatur seine Straßen in der Provinz ebenso bekannt gemacht hat wie im Ausland. Weil es ein Produkt der Arbeit von 18 Jahrhunderten und von rund 50 Generationen des ganzen französischen Volks ist.
Wer dürfte sich da das kleinste Stück Grund und Boden oder das bescheidenste Gebäude aneignen, ohne ein schreiendes Unrecht zu begehen? Wer hätte das Recht, die kleinste Parzelle des gemeinsamen Patrimoniums irgendwem zu verkaufen?“ (S. …95)
4. Die kollektive Aneignung der Produktionsmittel
„Um dem drohenden Untergang zu entgehen, müssen die menschlichen Gesellschaften zu den Grundprinzipien zurückkehren: da die Produktionsmittel das Kollektivprodukt der Menschheit sind, sollten die Produkte das Kollektiveigentum der menschlichen Rasse sein.“ (S. 26)
„Nun, es scheint uns, als gebe es auf diese Frage nur eine Antwort: Anerkennen und laut verkünden, dass jeder, was auch immer in der Vergangenheit sein Rang, seine Stärke oder Schwäche, seine Fähigkeiten oder Unfähigkeit, vor allem das Recht zu leben besitzt; und dass die Gesellschaft die Existenzmittel, über die sie verfügt, unter alle ohne Ausnahme verteilen muss. Dies anerkennen, es verkünden und danach handeln!
In einer Weise handeln, dass der Arbeiter vom ersten Tag der Revolution an weiß, dass sich vor ihm eine neue Ära auf tut: dass künftig niemand mehr gezwungen sein wird, unter den Brücken und neben den Palästen zu schlafen; nichts zu essen zu haben, obzwar es soviel Nahrungsmittel gibt; nächst Pelzgeschäften vor Kälte zu zittern. Dass in Wirklichkeit wie im Prinzip alles allen gehöre und dass endlich in der Geschichte eine Revolution stattfindet, die an die Bedürfnisse des Volks denkt, ehe sie das Volk seine Pflichten lehrt.“ (S. 38)
„Will man heute gegen das Privateigentum in einer seiner Gestalten – Grundeigentum oder Industriebesitz – durchgreifen, ist man gezwungen, in allen anderen Gestalten ebenfalls gegen es durchzugreifen. Der Erfolg der Revolution gebietet es.“ (S. 53)
„Hat eine Gesellschaft den gesamten sozialen Reichtum in Besitz genommen und das Recht eines jeden auf diesen Reichtum feierlich proklamiert, ganz gleich, wie groß der Anteil des Einzelnen an der Produktion des Reichtums gewesen sein mag, dann muss sie zwangsläufig auf jegliche Art von Arbeitslohn, sei es in Geld oder in Arbeitsgutscheinen, verzichten. “ (S. 190)
5. Gegenseitige Hilfe statt Geldwirtschaft
„Doch kommen wir zurück zu unserer aufständischen Stadt und schauen wir, unter welchewn Bedingungen sie für ihren Unterhalt wird sorgen müssen. … Nehmen wir eine große französische Stadt, meinetwegen die Hauptstadt. Paris konsumiert jährlich Millionen Zentner Getreide, 350000 Ochsen und Kühe, 200000 Kälber, 300000 Schweine und mehr als 2 Millionen Hammel … Außerdem braucht Paris noch etwa 8 Millionen Kilo Butter und 172 Millionen Eier und alles übrige in vergleichbaren Mengen.
Mehl und Getreide kommen aus den Vereinigten Staaten, aus Rußland, Ungarn, Italien Ägypten und Indien. Vieh wird (S. 85)
aus Deutschland, Italien, Spanien, sogar aus Rumänien und Rußland eingeführt. Und es gibt kein Land in der Welt, das keine Kolonialwaren beisteuert.
Sehen wir uns zunächst einmal an, wie die Versorgung von Paris … mit Lebensmitteln bewerkstelligt werden könnte, die auf französischen Feldern gedeihen und die die Landwirte nur zu gern liefern würden.
Den Autoritären bereitet die Antwort auf diese Frage keine Schwierigkeit. Zuerst würden sie eine stark zentralisierte , mit sämtlichen Zwangsorganen wie Polizei, Armee und Guillotine ausgestattete Regierung bilden. Die Regierung ließe alles, was in Frankreich geerntet wird statistisch erfassen teilte das Land in eine bestimmte Anzahl Versorgungsarrondissements ein und ordmnete an, eine bestimmte Menge eines bestimmten Lebensmittels an einen bestimmten Ort zu transportieren oder an dem und dem Tag an eine bestimmte Station zu liefern und von einem bestimmten in Empfang zu nehmen, in dem und dem Magazin zu lagern und sofort.
Voller Überzeugung behaupten wir hingegen, dass eine derartige Lösung nicht nur nicht wünschenswert wäre, sondern dass sie zudem niemals in die Praxis umgesetzt werden könnte.“ (S. 86)
„Wenn die Stadt keine Kommissare mit roten oder mehrfarbigen Schärpen in die Dörfer schickt, die den Bauern das Dekret übermittelt, ihre Lebensmittel an einen bestimmten Ort zu bringen, sondern ihnen Freunde und Brüder zu besuch schickt, die ihnen sagen: »Bringt uns eure Produktre und nehmt dafür aus unseren Magazinen alle Manufakturwaren, die euch gefallen«, dann werden die Lebensmittel von allen Seiten herbeiströmen. Die Bauern behalten, was sie selbst zum Leben brauchen, schicken den Rest den Arbeitern in die Städte, in denen sie – zum ersten Mal in der Geschichte – Brüder und nicht Ausbeuter sehen.“ (S. 88)
6. Zur Frage des Luxus
„Wir proklamieren das Recht auf Wohlstand – den Wohlstand für alle! “ (S. 27)
„Heute, da Hunderttausende zu wenig Brot, Kohle und Kleidung haben und ohne Unterkunft sind, stellt Luxus fraglos ein Verbrechen dar. Damit Luxus möglich wird, muss des Arbeiters Kind Hunger leiden! Aber in einer Gesellschaft, in der alle ihren Hunger zu stillen vermögen, wird das Bedürfnis nach dem, was wir Luxus nennen, nur umso lebhafter sein. Da die Menschen einander weder gleichen können noch gleichen sollen – denn die Verschiedenheit der Geschmäcker und Bedürfnisse ist der wesentliche Garant für den Fortschritt der Menschheit-, wird es stets Männer und Frauen geben – und es ist zu wünschen, dass es sie immer geben wird-, deren Bedürfnisse in irgendeiner Weise die durchschnittlichen überragen.
Nicht jeden wird es nach einem Teleskop verlangen.“ (S. 117)
„Kurz: die 5-7 Stunden pro Tag, die jeder zur Verfügung hat, nachdem er einige Stunden der Produktion des Notwendigen gewidmet hat, werden vollauf genügen, die so unendlich verschiedenartigen Luxusbedürfnisse zu befriedigen. Tausende von Assoziationen werden ihrer Befriedigung dienen. Was heute Privileg einer winzigen Minorität, wird so allen zugänglich. Der Luxus hört auf, ein dummer und aufdringlicher Pomp der Bourgeois zu sein, und wird zur künstlerischen Befriedigung.“ (S. 131)
Anmerkungen, Kritik, Komentare