07b Lesung von Text- und Brieffragmenten aus Bürgerkrieg und der sozialen Revolution

Lesung mit Text- und Brief-Fragmenten aus dem Bürgerkrieg und der Sozialen Revolution

Hoffnung und Aufgabe der sozialen Revolution
„Seitdem Hitler-Deutschland 1933 schreitet der Faschismus voran: Auch in den sogenannten demokratischen Ländern gewinnt er jeden Tag an Boden, wird die Arbeiterbewegung selbst durch den faschistischen Geist unterwandert. Sie scheint bereit zu einem Zugeständnis nach dem anderen an die Reaktion und glaubt damit dem Faschismus entgehen zu können. Doch da gibt sie sich einer falschen Hoffnung hin. Denn es gibt nur die Wahl zwischen Faschismus und Sozialer Revolution.“
„Den Faschisten ist klar, worum es in Spanien geht. Auch die Arbeiter, alle Antifaschisten müssen es begreifen. Wenn Spanien faschistisch wird, dann fällt die letzte Bastion gegen den Faschismus in Europa, dann gibt es keine Bremse mehr um die Diktatur aufzuhalten, dann ist es aus mit der Freiheit und Europa wäre der Reaktion, der Staatssklaverei und der Diktatur ausgeliefert wie noch nie zuvor in der Geschichte.“

Arthur Lehning: Anmerkungen zur Revolution in Spanien, Rundfunkrede 14.10.36
Anarchosyndikalist, für das IISG Amsterdam in Spanien
S. 123, 122 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

“wir haben immer in slums und erdlöchern gelebt, wir werden uns einige zeit behelfen können, aber du darfst nicht vergessen, wir können auch aufbauen! wir haben diese paläste und städte hier in Spanien und überall gebaut und wir,die arbeiter, können auch andere sachen an deren stelle bauen, und bessere sachen. wir haben keine angst vor ruinen. wir werden die erde erben, da gibt es keinen zweifel.
die bourgeoisie soll ihre eigene welt verfluchen und zerstören bevor sie von der weltbühne abtritt, aber wir sind die träger einer neuen welt. diese welt entwickelt sich in diesem moment.”

Buenaventura Durrutti, interviewt von Van Paasen
S.30 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft

Aufbruch
“Wir hatten da von einem gehört – mittlerweile sprachen wir auch ein bißchen Französisch -, dass Franco die spanische Republik zerstören wollte, die ja aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Republikanern gebildet worden war. Wir berieten uns dann mit drei Mann, und kurz entschlossen sagten wir uns: Warum auf die Partei warten, bis die uns benachrichtigt, wir haben so lange selbständig in der Partei gearbeitet, dann müssen wir auch jetzt selbständig handeln.“

Robert Schreiber: Wir setzten über den Ebro,
Mitglied der KPD, Interbrigadist
S. 193 in: Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: Der rote Großvater erzählt, Fischer Taschenbuch Verlag 1974

„Im Bahnhof von Toulouse wehte mir der Gluthauch der Ereignisse entgegen. Hunderte von Spaniern drängten sich ungestüm in den Zug, sangen Lieder ihrer Heimat, schwangen rote und schwarz-rote Fahnen und die Farben der Republik. Vor dem großen Tunnel nach Cerbere stan­den französische Mobilgarden, alles mußte aussteigen und den Tunnel zu Fuß durchqueren. Die spanische Grenze war von Arbeitern und Bauern besetzt, die, mit alten Jagdflinten bewehrt, Revolver am Gürtel, eine strenge Kontrolle ausübten. Für spanische Bürger gab es keine Schwierigkeiten, die meisten konnten sich mit einem Mitgliedsbuch einer spanischen Organisation ausweisen. Für Ausländer wurde es problematischer. Nach stundenlangem Herumstehen kam ich mit einem jungen Franzosen, der sich zu mir gesellt hatte, an die Reihe. Die Grenzkontrolleure sahen unsere Papiere kaum an. Konnten sie lesen? Mit meinen wenigen spanischen Brocken versuchte ich zu erklären, daß ich am Kampf gegen die aufständischen Generäle teilnehmen wolle. Sie blieben mißtrauisch. Aus ihren Unterhaltungen hörte ich heraus, daß sie keine »Marxis­tas« ins Land lassen wollten. Wir hatten es mit katalanischen Anarchisten zu tun, deren Abnei­gung gegen alles, was nach Marxismus roch, mir nur zu gut bekannt war. Mit dem Franzosen zu­sammen quälte ich mich stundenlang mit den braven Männern ab; sie gaben nicht nach und verweigerten uns hartnäckig die Einreise.“

Pavel Thalmann: Von der Schwierigkeit nach Spanien zu reisen
Schweizer Anhänger der KPO
S. 76 in: Erich Hackl, Cristina Timón Solinís (Hrsg): Geschichten aus der Geschichte des spanischen Bürgerkriegs, Luchterhand 1986

„Mein Einzug in Katalonien fing gut an, denn es ist das geschehen, was mir in zwei Jahren 1933-35 als Sekretär der IAA in Spanien niemals passiert war: ich bin verhaftet worden. Erst sozusagen im Zug und dann in Barcelona durch die Passpolizei.“

Arthur Müller- Lehning: Spanisches Tagebuch
Anarchosyndikalist, für das IISG Amsterdam in Spanien
S. 50, Tagebuch 7.10.36 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

„»Ah, da bist du ja, du Schuft!« – Der Scheinwerfer ist gar kein Scheinwerfer, sondern eine Taschenlampe. Und die Stimme von dem, der mir ins Gesicht leuchtet, die hab ich schon irgendeinmal gehört. Aber natürlich! Das ist ja der Fritz Jensen. In den nächsten Tagen will er mit der 13. Brigade an die Front. Jetzt ist er noch Chefarzt der Base. Aber . . . »Daraus wird nichts, merk dir das. Möchtest dich verstecken und als Infanterist herumlaufen, wo wir Ärzte brauchen wie ein Stück Brot . . . Morgen kannst du den Dienst antreten in der Base. Wirst mich ablösen.« Fällt mir natürlich gar nicht ein, dazu bin ich nicht nach Spanien gekommen! Nach kurzer Auseinandersetzung werden wir handelseins: Ich komme als Arzt zur Sanität, aber nicht in Albacete, sondern an der Front, bei der 11. Brigade.“

Walter Fischer: Albacete
Linke Opposition in der SPÖ, nach 45: KPÖ
S. 82 in: Erich Hackl, Cristina Timón Solinís (Hrsg): Geschichten aus der Geschichte des spanischen Bürgerkriegs, Luchterhand 1986

„Die Delegierten der Lokalföderation der CNT … alarmieren ihre Sektionen. Auf die Posten! Väter und erwachsene Söhne, Mütter und erwachsene Töchter ziehen des Nachts aus zum Kampf. Mit Bastschuhen an den Füßen. Die Hemdsärmel hochgekrempelt .. Eine Gruppe reden wir an … ‘A donde vais?’ Wohnin geht ihr? – ‘À la lucha’ zum Kampf – Auch die Mutter? Und die Muchacha, das junge Ding soll auch mit? – ‘Claro, hombre’ Klar, ich kann schießen. Das spricht sie stolz aus. Und mit leuchtrenden Augen und erwartungsvollem Herzen geht’s ins Ungewisse der Nacht.“

Augustin Souchy: Brief , Juli 36
Anarcho-Syndikalist
S. 64 in: Medienwerkstatt Freiburg (Hrsg): Die lange Hoffnung, Trotzdem Verlag 1985

Bürgerkrieg
„Die Gruppe Internationale ist 63 Mann stark. Noch nachts gehen wir zum Sturmangriff über. Gut gezielte Schüsse, Handgranaten in die Fenster und dann die Brandflaschen. Im Nu steht das ganze Dorf in Flammen. Gegen fünf Uhr morgens werde ich durch eine Handgranate verwundet. Die linke Brustseite ist aufgerissen, und beide Arme haben Fleischwunden erhalten. Zuerst der Transport mit der Bahre, dann mit dem Auto ins Hospital. Mehrmals ist mir die Luft ausgeblieben. Datum: der 9. September 36. Das Dorf wird am 14. September von der Gruppe vollständig gestürmt. Es kostet sie 4 Tote und 31 Verwundete. Unter den Toten befindet sich Sepp Pettinger. – 180 Faschisten; davon sind 28 zu uns übergelaufen, die übrigen sind aufgerieben worden.“

Robert Schreiber: Wir setzten über den Ebro,
Mitglied der KPD, Interbrigadist
S. 198 in: Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: Der rote Großvater erzählt, Fischer Taschenbuch Verlag 1974

„Als wir auf Urlaub gingen, war ich hundertfünfzehn Tage an der Front gewesen, und damals schien dieser Zeitraum einer der nutzlosesten meines ganzen Lebens gewesen zu sein. Ich war in die Miliz eingetreten, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Ich hatte jedoch kaum gekämpft, sondern nur wie ein passives Objekt existiert. Ich tat nichts als Gegenleistung für meine Rationen, außer daß ich unter der Kälte und dem Mangel an Schlaf litt. Das ist aber vielleicht in den meisten Kriegen das Schicksal der Mehrzahl der Soldaten. … Aber von meinem persönlichen Gesichts­punkt, das heißt von dem Gesichtspunkt meiner persönlichen Entwicklung her gesehen, waren die ersten drei oder vier Monate, die ich an der Front verbrachte, weniger nutzlos, als ich dachte. Sie waren eine Art Interregnum in meinem Leben, völlig unterschieden von allem was vorausge­gangen war und was vielleicht auch noch kommen sollte. Diese Zeit lehrte mich Dinge, die ich auf keine andere Weise hätte lernen können. Der wesentlichste Punkt bestand darin, daß ich während dieser ganzen Zeit isoliert war – denn an der Front war man fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten: selbst von dem, was sich in Barcelona ereignete, hatte man nur eine verschwommene Vorstellung, und das unter Leuten, die man etwas verallgemeinert und doch nicht zu ungenau als Revolutionäre bezeichnen konnte.“

George Orwell: Spanische Erfahrungen
S.21 – 22 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft

„Und wenn mal einer von uns denen in die Hände fiel, der war am Ende. Der wurde gefoltert und dann den Nazis übergeben. Zum Beispiel ein Oskar Zimmermann, der während des Rückzugs von den Faschisten gefangen genommen worden war. Überläufer berichteten uns dann folgendes. Den hatten die in Saragoza laufen lassen, mitten in der Stadt, und jeder, der wollte, durfte auf ihn schießen, Und wir konnten dem armen Kerl nicht helfen.“

Robert Schreiber: Wir setzten über den Ebro,
Mitglied der KPD, Interbrigadist
S. 200 in: Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: Der rote Großvater erzählt, Fischer Taschenbuch Verlag 1974

„Wir alle hassen den Krieg, doch wir begreifen ihn als revolutionäres Mittel. Wir sind keine Pazifisten und kämpfen leidenschaftlich. Der Krieg – diese überalterte Ideologie – wird nur durch die soziale Revolution gerechtfertigt. Wir kämpfen nicht als Soldaten sondern als Befreier. Wir dringen und stürmen vor, um die von Kapitalisten und Faschisten Unterdrückten zu befreien.“

Carl Einstein: Die Kolonne Durruti
Expressionistischer Schriftsteller, entwickelte sich zum Anarchisten
S. 118 in: Erich Hackl, Cristina Timón Solinís (Hrsg): Geschichten aus der Geschichte des spanischen Bürgerkriegs, Luchterhand 1986

Leben in der Revolution
„Wie jede revolutionäre Bewegung hat sich die spanische Revolution spontan ihre eigenen neuen Machtorgane geschaffen, nach den Erfahrungen der russischen Revolution, dem asturischen Aufstand entstanden neben den alten Unterdrückungsorganen die Räte der Arbeiter und Bauern. Diese Räte – in Spanien Komitees – übernahmen in Städten und Dörfern, in Fabriken und Gruben die Macht. Später entstanden an der Front und in der Milizarmee die Komitees der Milizionäre. Diese Komitees – die spanische Räteform – waren die lokalen Machtorgane, die alles regelten: Die Anwerbung und Bewaffnung der Milizen, die Säuberung der Orte von den reaktionären Elementen, die Bildung der Sicherheitsmiliz, die Ernährung und Verpflegung der ganzen Bevölkerung und der Milizarmee. Sie bildeten die faktische Gemeindeverwaltung auf den Dörfern und in den Städten.
Die Komitees leiteten die Enteignung des Grund und Bodens, überwachten die Verteilung des Bodens an die Bauern, bestimmten Produktion und Verbrauch. Sie waren die Grundlagen der Macht, der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse. An zahlreichen Orten waren sie überhaupt die einzige Macht, …“

Pavel Thalmann (als Franz Heller): Die Revolution wird verraten – Die Stalinisten lösen die Sowjets auf
S. 35 in: Medienwerkstatt Freiburg (Hrsg): Die lange Hoffnung, Trotzdem Verlag 1985

„Hier in Aragonien lebte man unter Zehntausenden von Menschen, die hauptsächlich, wenn auch nicht vollständig aus der Arbeiterklasse stammten. Sie lebten alle auf dem gleichen Niveau unter den Bedingungen der Gleichheit. Theoretisch herrschte vollkommene Gleichheit, und selbst in der Praxis war man nicht weit davon entfernt. In gewisser Weise ließe sich wahrhaftig sagen, daß man hier einen Vorgeschmack des Sozialismus erlebte. Damit meine ich, daß die geistige Atmos­phäre des Sozialismus vorherrschte. Viele normale Motive des zivilisierten Lebens – Snobismus, Geldschinderei, Furcht vor dem Boß und so weiter – hatten einfach aufgehört zu existieren. Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war in einem Umfang verschwunden, wie man es sich in der geldgeschwängerten Luft Englands fast nicht vorstellen kann. Niemand lebte dort außer den Bauern und uns selbst, und niemand hatte einen Herrn über sich.“

George Orwell: Spanische Erfahrungen
S.22 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft

„Erst wenn du das gesehen hast, weißt du, was diese Revolution bedeutet. Hier hat ein Volk wirklich tabula rasa mit seiner Vergangenheit gemacht. Und das ist nicht mehr rückgängig zu machen.“

Arthur Müller- Lehning: Spanisches Tagebuch
Anarchosyndikalist, für das IISG Amsterdam in Spanien
S. 81, Tagebuch 23.10.36 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

„Die Milizen haben sehr gut im Vertrieb der Lebensmittel gesorgt, man hat manches große Hotel requiriert und dieselben Köche mußten für die Arbeiter kochen, was sie früher für die großen Herren kochten. Im Hotel Ritz sitzen die Milizionäre in feinen Polsterstühlen und lassen sich die feinsten Sachen an weißen Tischen servieren, die sie sich nicht einmal träumen ließen. Das ist ein großartiges Bild, diese schmutzigen Gesellen, die sich über eine Woche nicht Zeit hatten zu waschen und vielleicht zwei Stunden im Tage schlafen konnten, an den Tischen zu sehen, wie sie sich ganz groß benehmen und ihren gesunden Witz über dies und jenes machen, was ihnen noch fremd ist.“

Klara Thalmann: Brief an Fritz Brupacher, 3.8.36
Schweizer Anhängerin der KPO
S. 39 in: Medienwerkstatt Freiburg (Hrsg): Die lange Hoffnung, Trotzdem Verlag 1985

„Die CNT und die POUM geben die Losung der Räte aus, lassen aber diese Regierung bestehen, weil sie glauben, daß die spanische Konterrevolution noch zu gefährlich ist um eine Räteregie­rung auszuüben. In Catalonien wäre sie möglich und die Arbeiter haben faktisch auch die Strasse und das ganze Leben beherrscht. Jetzt geben sie eine Position nach der ändern preis. Es war ein glänzendes Bild in ganz Catalonien, alle Autos wurden beschlagnahmt und die Arbeitermilizen sausten wie die Verrückten in der Strasse herum und zeigten das volle Machtbewußtsein. Der gute Bürger zeigte sich nicht mehr auf der Strasse oder er ging dann immer mit ängstlichem Gesicht und mit erhobe­ner Faust herum.“

Klara Thalmann: Brief an Fritz Brupacher, 3.8.36
S. 37 in: Medienwerkstatt Freiburg (Hrsg): Die lange Hoffnung, Trotzdem Verlag 1985

„Die Kommunisten wußten das sehr genau und schimpften ohne Unterlaß und erbittert über die P.O.U.M. und das anarchistische Prinzip des gleichen Lohns für alle Ränge. Es fand eine allgemeine »Verbürgerlichung« statt, eine absichtliche Zerstörung des Gleichheitsgeistes aus den ersten Monaten der Revolution. Alles ereignete sich so geschwind, daß Leute, die Spanien innerhalb von wenigen Monaten mehrmals besucht hatten, erklärten, daß sie anscheinend kaum das gleiche Land besuchten. Was an der Oberfläche und für eine kurze Weile ein Arbeiterstaat zu sein schien, verwandelte sich vor den eigenen Augen in eine herkömmliche Bourgeoisrepublik mit der normalen Unterscheidung von reich und arm.“

George Orwell: Spanische Erfahrungen
S.26 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft

Kollektivierung
„Wie schade, dass du nicht hier bist, du würdest überall CNT/FAI sehen. Auf jedem Auto. Die Straßenbahnen (alle): CNT – das heißt dass der ganze Betrieb dem Syndikat gehört, kollektiviert ist – genauso die Untergrundbahn, die Omnibusse UGT & CNT. … Vom Regionalgebäude, einem Palast mit hunderten Komitees, weht eine riesige schwarz-rote Fahne.“

Arthur Müller- Lehning: Spanisches Tagebuch
Anarchosyndikalist, für das IISG Amsterdam in Spanien
S. 52, Tagebuch 8.10.36 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

„So sind in Barcelona die gesamte Textil- und Metallindustrie (die zur Zeit ausschließlich für die Rüstung arbeitet), …, die Theater usw durch anarchistische Syndikate kollektiviert worden .. Das gastronomische Syndikat regelt den gesamten Hotel- und Restaurationsbetrieb. Die Industrie­unternehmen mit ausländischer Beteiligung, die nicht ohne weiteres beschlagnahmt werden konnten (Elektroindustrie, Petroleummonopol usw) werden vorläufig `kontrolliert`.“

Arthur Lehning: Anmerkungen zur Revolution in Spanien, Rundfunkrede 14.10.36
S. 148 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

Landwirtschaftliche Kollektive
„Dieses System entspricht nicht etwa wissenschaftlichen Theorien, der libertäre Kommunismus Alcoras ist das Werk von Bauern, die all die ökonomischen Gesetze nicht kennen, obgleich sie den Fachausdruck „soziale Revolution" benutzen. Die Form, die sie ihrer Gemeinschaft gegeben haben, entspricht eigentlich eher den Vorstellungen der ersten Christen als den Gegebenheiten unseres industriellen Zeitalters. Aber in solch naiver Einrichtung einer neuen Ordnung, die mit einem Satz gleich mehrere Entwicklungsstufen überspringt und auf ein entferntes Ideal vorgreift, zeigt sich das Wesen dieser Agrarrevolution.
Alcoras Bauern wollen „alles gemeinsam" haben, so wie die Bibel es von den Anachoreten berichtet. Und das sicherste Mittel zur Verwirklichung der allgemeinen Gleichheit ist für sie die Abschaffung des Geldes. Tatsächlich ist bei ihnen kein Geld mehr im Umlauf, und doch bekommt jeder, was er braucht. Von wem? Vom Komitee natürlich.
Weil es aber unmöglich ist, 5000 Personen mit Hilfe eines einzigen Verteilungszentrums zu versorgen, gibt es in Alcora Geschäfte, in denen man wie bisher für seinen Bedarf sorgen kann. Doch diese Geschäfte sind eben nur noch Verteilungsstellen, sie gehören dem ganzen Dorf und ihre alten Besitzer machen keine Gewinne mehr. Vor allem aber wird nicht mehr mit Geld, sondern mit Gutscheinen bezahlt, selbst der Friseur rasiert nur gegen Gutschein.
Verteilt werden die Gutscheine vom Komitee. Allerdings ist die Theorie, wonach die Bedürfnisse eines jeden Einwohners befriedigt werden sollen, nur sehr unvollkommen realisiert, denn man geht von dem Prinzip aus, daß alle die gleichen Bedürfnisse haben. Individuelle Unterschiede werden nicht gemacht, oder, um genau zu sein, das Individuum wird kaum anerkannt; nur die Familie zählt und nur ledige Personen werden als Individuen betrachtet.

Dennoch kann man diese Gutscheine nicht als Banknoten betrachten. Sie können nur gegen Konsumgüter eingetauscht werden, und nur in beschränktem Maße. Selbst wenn der Betrag dieser Gutscheine höher wäre, wäre es unmöglich, mit ihnen Produktionsmittel zu erwerben, unmöglich, auch nur ansatzweise zum Kapitalisten zu werden. Denn nur Konsumgüter werden verkauft, alle Produktionsmittel gehören der Gemeinschaft.
Das Komitee, hier heißt es Regionalkomitee, repräsentiert diese Gemeinschaft. Es verfügt über das gesamte Geld Alcoras – ungefähr hunderttausend Pesetas -, tauscht Erzeugnisse des Dorfes gegen fehlende Produkte ein und kauft, was nicht im Austausch besorgt werden kann. Aber Geld wird nur als ein Notbehelf betrachtet, der so lange Gültigkeit besitzt, wie die übrige Welt dem Beispiel Alcoras noch nicht gefolgt ist.
Das Komitee ist der pater familias. Es besitzt alles, leitet alles, kümmert sich um alles. Jeder spezielle Wunsch muß ihm unterbreitet werden, es allein entscheidet in letzter Instanz. Man könnte einwenden, die Mitglieder des Komitees liefen Gefahr, zu Bürokraten oder sogar Diktatoren zu werden, aber das ist auch den Bauern nicht entgangen. Deshalb hat man beschlossen, das Komitee in kurzen Zeitabständen neu zu konstituieren, und zwar so, dass jeder Dorfbewohner ihm für einen bestimmten Zeitraum angehört.

Im Grunde fußt dieser libertäre Kommunismus auf herrschenden Verhältnissen. Ein Beweis dafür ist, daß die Familienkarte das am meisten unterdrückte Wesen Spaniens, die Frau nämlich, in der ganzen Abhängigkeit vom Mann beläßt.“

Hanns-Erich Kaminski: Barcelona – ein Tag und seine Folgen, zitiert nach:
Anarchist S. 85 – 87, in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

„"was,zum beispiel passiert",frage ich,“wenn jemand in die stadt X fanren will?”
“das ist sehr einfach”,antwortet jemand,“er geht zum komitee und wechselt einige coupons in geld um.”
“dann kann man also soviele Coupons wie man will umtauschen?”
“natürlich nicht!”
diese guten leute sind ziemlich erstaunt, daß ich so langsam verstehe.
“aber wann kann man dann geld bekommen?”
" sooft man will — man muss es nur dem komitee sagen."
“das komitee überprüft dann die gründe?”
“natürlich.”
ich bin ein bisschen erschreckt, diese Organisation scheint mir,lässt, wenig freiheit in einen liebertär—sozialistischen staat.
ich versuche, gründe, die das komitee für eine reise anerkennen würde,zu finden, ich finde nicht sehr viele »aber ich setze mein interview fort.
“wenn jemand, außerhalb des dorfes eine verlobte hat, bekommt er dann geld,um zu ihr zu reisen?” der bauer versichert mir:“er wird es bekommen.”
" sooft er will?"
" er kann seine verlobte jeden abend besuchen, wenn er will."
“und wenn jemand in die stadt ins kino gehen will, bekommt er dann geld”
“ja.”
“sooft er will?” der bauer beginnt,an meinem verstand zu zweifeln.
ich sprach mit einem jungen,intelligen t aussehenden bauern .als ich mich mit ihm angefreundet hatte, nahm ich ihn beiseite und sagte zu ihm :“wenn ich dir brotcoupons- geben würde,würdest du mir die coupons in geld umtauschen?”
mein freund dachte einen moment nach und sagte: “aber du brauchst doch auch brot.”
“ich mag kein brot, ich mag nur Süssigkeiten. ich möchte alles, was ich verdiene, in Süssigkeiten umtauschen.”
der bauer verstand den sinn der frage sehr gut, aber er brauchte nicht lange nachzudenken und antwortet lächelnd:" das ist ganz einfach. wenn du Süssigkeiten haben willst, solItest du es dem komitee sagen, es wird dir die erlaubnis geben,und du kannst die Süßig­keiten dann im laden bekommen, in unserem dorf bekommt jeder, was er braucht."
nach, dieser antwort mußte ich aufgeben, diese bauern leben nicht mehr in einem kapitalistischen System, weder von der moral noch von der mentalität her.“

Emma Goldman: Interview im Dorf Alcora
S. 31 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft
Ausschnitt auch S. 87, in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

Umgang mit der Kirche
„In allen Dörfern, die wir passierten von Port-Bou bis hierher, waren alle Kirchen und Klöster in Brand gesteckt und an vielen Orten die Priester getötet. In vielen Kirchen hat man Waffenfunde gemacht und viel Geld geholt. Aus den strategisch wichtfgsten Punkten haben die Faschisten aus den Kirchen geschossen, und auch dort sich geschützt und versteckt. Deshalb die Volkswut gegen alles Kirchliche, man hat alles was nach Kirche und Kloster roch ausgeräuchert.“

*Pavel Thalmann *(als Franz Heller): Die Revolution wird verraten – Die Stalinisten lösen die Sowjets auf
S. 37 in: Medienwerkstatt Freiburg (Hrsg): Die lange Hoffnung, Trotzdem Verlag 1985

„Auf meiner Fahrt habe ich nur zwei noch völlig intakte Kirchen gefunden: die weltberühmte Kathedrale von Tarragona und jene von Barcelona, beide geschlossen und zu Nationaleigentum erklärt. Man wird von den Pyrenäen bis Mälaga nicht viele andere finden: In jeder Stadt und in jedem Dorf sind die Kirchen und Klöster in Brand gesteckt worden und abgebrannt. … Oftmals ist nur das Inventar herausgeholt und draußen angezündet worden, ohne auch nur festzustellen, ob nicht etwas Wertvolles dabei sei. … Die Kirchenbauten selbst werden nun meist zu praktischen Zwecken genutzt: als Lagerräume und Markthallen, Versammlungssäle und Ladenlokale. Viele sind abgerissen worden: ‚Die Steine können wir besser für Schulen und Krankenhäuser gebrau­chen.’ “

Hanns-Erich Kaminski: Barcelona – ein Tag und seine Folgen, zitiert nach:
S. 150 in: Arthur Lehning: Spanisches Tagebuch & Anmerkungen zur Revolution in Spanien, edition tranvía, Berlin 2007

Die Rolle der UdSSR und der Kommunistischen Partei

„’Verhindert die Revolution, oder ihr bekommt keine Waffen.’ So wurde die erste Maßnahme gegen die revolutionären Elemente, nämlich die Verdrängung der P.O.U.M. aus der katalanischen Generalidad, nach Befehlen der UdSSR durchgeführt.

Nachdem sich die UdSSR einmal eingemischt hatte, war der Triumph der kommunistischen Partei gesichert. Zunächst wurde das kommunistische Prestige dadurch enorm gehoben, daß man Rußland gegenüber dankbar war für die Waffen und die Tatsache, daß die kommunistische Partei besonders nach Ankunft der Internationalen Brigade den Anschein erweckte, als könne sie den Krieg gewinnen. Zweitens wurden die russischen Waffen durch die kommunistische Partei oder die mit ihr verbündeten Parteien ausgeliefert, und sie achteten darauf, daß ihre politischen Gegner so wenig wie möglich davon erhielten. Drittens gelang es den Kommunisten, durch die Verkündung einer nichtrevolutionären Politik alle diejenigen um sich zu scharen, die von den Extremisten verscheucht worden waren.“

George Orwell: Spanische Erfahrungen
S.24 in: 1936 – Die Revolution in Spanien – Texte, Volkspreis-Heft

Patriarchale Anarchos
“Ja, die Anarchisten haben immer gerne von der freien Liebe gesprochen. Aber schließlich waren sie Spanier, und es ist komisch, wenn Spanier von so etwas reden. Es paßt gar nicht zu ihrem Temperament. Sie hatten das nur aus ihren Büchern. Die Spanier hatten nie etwas übrig für die Befreiung der Frau. Nicht die Bohne. Ich kenne sie in- und auswendig, und ich sage Ihnen: Die Vorurteile, die sie störten, sind sie recht rasch losgeworden, aber die ihnen paßten, haben sie sorgfältig gehütet. Die Frau gehört an den Herd! Von dieser Weisheit haben sie viel gehalten. Ein alter Genösse hat einmal zu mir gesagt: ‚Das ist ja ganz schön und gut mit Euren Theorien, aber die Anarchie ist eine Sache und die Familie eine andere. So ist es, und so bleibt es auch.’ Mit Buenaventura habe ich allerdings Glück gehabt. Er war nicht so unterentwickelt wie die anderen. Aber er wußte ja schließlich auch, mit wem er es zu tun hatte.”

Emilienne Morin,
Witwe von Buenaventura Durruti,
in: H.M. Enzensberger, Der kurze Sommer der Anarchie, Frankfurt/M. 1972, 96
zitiert nach: Mary Nash: Mujeres Libres, Karin Kramer Verlag, S. 7

„Vázquez beschwert sich darüber, daß unter den Frauen nicht genügend für unsere Ideen geworben werde, worüber ich mich auch verschiedentlich beschwert habe. Nachdem ich die Tat­sachen beobachtet und analysiert habe, habe ich folgendes daraus gefolgert: die anarchosyndi­kalistischen Genossen (nicht der Anarchosyndikalismus selbst!) interessiert die Unterstützung der Frauen nur wenig. Ich höre jetzt schon einige gegen mich aufbrausen. Beruhigt Euch, Freunde, ich habe noch nicht angefangen. Wenn ich etwas behaupte, bin ich immer bereit, es zu beweisen, und dazu komme ich jetzt. …
Deshalb geht es nicht zu sagen: ‚Man muß unter den Frauen werben, man muß die Frauen für unsere Reihen gewinnen’; wir müssen die Frage vielmehr weiter fassen, sehr viel weiter. In ihrer großen Mehrheit sind die Genossen – nehmen wir ein Dutzend gut unterrichtete aus – von den charakteristischen bourgeoisen Verwirrungen mit erfaßt. Während sie gegen das Eigentum eintreten, sind sie selbst wütende Eigentümer. Während sie gegen die Sklaverei kämpfen, sind sie selbst strenge ‚Gebieter’. Während sie gegen die Monopole zetern, sind sie erbitterte Monopol­herren. Und das leitet sich alles von dem schlechtesten Konzept ab, das die Menschheit schaffen konnte: die unterstellte ‚Minderwertigkeit der Frau’. Ein Fehler, der die Entwicklung unserer Zivilisation vielleicht um Jahrhunderte verlangsamt hat.
Der letzte Sklave verwandelt sich in einen Souverän und Herren, hat er einmal die Türschwelle zu seinem Heim überschritten. Ein Wunsch von ihm ist, kaum ausgesprochen, gleich ein aus­drücklicher Befehl für die Frauen in seinem Hause. Er, der noch zehn Minuten vorher die bitteren Demütigungen der Bourgeoisie hinuntergeschluckt hat, erhebt sich als Tyrann und läßt die Unglücklichen all die Bitterkeit der vermeintlichen Minderwertigkeit spüren.
Man soll nicht behaupten, ich würde übertreiben. Ich könnte Beispiele in Hülle und Fülle liefern.“

Lucía Sánchez Saornil
Mitbegründerin der „Mujeres Libres“
Die Frauenfrage in unseren Reihen, in: „Solidaridad Obrera“ 26.9.1935
zitiert nach: Mary Nash: Mujeres Libres, Karin Kramer Verlag, S. 45, 46

„Als die Demonstration am Gebäude der C.N.T.-F.A.I. vorbeikam, brach sie in Hochrufe auf die Revolution aus; dasselbe geschah gegenüber dem Gebäude der Revolutionären Jugend. Einige Genossinnen, die zurückgeblieben waren, erlebten etwas, was man sich zu erzählen schämt. Ein Individuum, das am Hals ein schwarz-rotes Tuch trug, begann Beschimpfungen und Bedrohungen gegenüber den Genossinnen aus der Demonstration auszustoßen. Eine von ihnen näherte sich ihm und fragte, warum er das mache. Er antwortete, weil es ihm Spaß mache und fuhr dann fort, die Situation aggressiv und brutal zu kommentieren – so weit, daß die Genossin sich eingeschüch­tert zurückziehen mußte. Die Barbaren, die sich als Anarchisten verkleiden, die Feiglinge, die gut bewaffnet von hinten angreifen, die “Mutigen”, die die Stimme erheben und sich drohend gegenüber den Frauen verhalten, zeigen damit ihre faschistische Haltung, und man muß ihnen die Maske herunterreißen.

Manche Tücher und Pistolen sind an der falschen Stelle, und das müssen wir beenden, Genossen Anarchisten!“

Nita Nahuel
Die den Anarchismus entehren, in: “Mujeres Libres”, Febr. 1937
zitiert nach: Mary Nash: Mujeres Libres, Karin Kramer Verlag, S. 73 – 74

„In keinem anderen Land der Welt erlebt die Arbeiterklasse den libertären Kommunismus so wie in Spanien. Der große Sieg der Revolution in den Juli-Tagen beweist die hohe revolutionäre Kraft des spanischen Arbeiters. Man hätte annehmen können, daß er in seiner leidenschaftlichen Frei­heitsliebe auch die Freiheit der Frau mit einschließen würde. Sehr weit davon entfernt, scheint aber die Mehrheit der spanischen Männer nicht den Sinn der wahren Emanzipation zu verstehen, oder sie ziehen es – im anderen Fall – vor, daß sie von ihrer Frau weiterhin nicht verstanden wird. Viele Männer scheinen davon überzeugt zu sein, daß die Frau lieber weiter untergeordnet leben möchte. Man sagte auch, der Schwarze sei darüber erfreut, weiterhin Eigentum des Plantagenbe­sitzers zu bleiben. Aber es kann keine wirkliche Emanzipation geben, während noch ein Mensch über einen anderen herrscht oder eine Klasse über eine andere. Und die Emanzipation der Menschheit wird noch weniger zur Wirklichkeit, während ein Geschlecht das andere beherrscht.

Die Arbeiter Kataloniens und von ganz Spanien haben ihn bereits getan; sie haben sich selbst befreit, und sie vergießen ihr Blut, um diese Freiheit zu sichern. Jetzt ist es an Euch, Frauen Spaniens. Sprengt Eure Ketten, Ihr seid an der Reihe, Eure Würde und Identität zu stärken, mit Nachdruck Eure Rechte als Frauen zu fordern, als freie Persönlichkeiten, als Mitglieder der Gesellschaft, als Genossinnen im Kampf gegen den Faschismus und für die soziale Revolution.

Emma Goldmann
Die soziale Situation der Frau, in: “Mujeres Libres”, Dez. 1936
zitiert nach: Mary Nash: Mujeres Libres, Karin Kramer Verlag, S. 87 – 88, 88 – 89

Freie Vereinbarung versus Ehe:
„Wir Anarchisten haben Jahre um Jahre damit verbracht, für die freie Verbindung zu plädieren und sowohl das kirchliche als auch das weltliche Ritual der Hochzeit zu verdammen – man verzeihe uns den Begriff.
Wir haben Zeitungen, Zeitschriften und sogar Bücher damit gefüllt, den alten formellen Kram der Hochzeiten zu verurteilen und ihn sehr treffend in Zusammenhang mit der sozialen Grundlage des kapitalistischen Systems gebracht, der Prostitution. Die Prostitution mit all ihren Aspekten: die Prostitution des Mannes, der seine Gedanken und Ideen verpfänden mußte, um essen zu können. Die Prostitution der Frau, die aus dem gleichen Grunde sogar so weit gehen mußte, ihren eigenen Körper zu verkaufen. Die Prostitution, eine zwangsläufige Konsequenz der Ausbeutung.
Wenn das stimmt, wenn wir die Jahre damit verbracht haben, zu behaupten, daß für die Verbindung zweier Menschen die freie Übereinkunft beider genügen würde und eine Heiratsur­kunde nichts anderes als ein Kaufvertrag wäre, wie können wir uns dann diese absurden Zeremonien erklären, die schon beinahe “Einbürgerungsurkunden” für die syndikalistischen Organe geworden sind?

Wir haben neulich gesagt, daß die Revolution bei uns selbst anfangen müsse. Wenn wir das nicht machen, werden wir die soziale Revolution verlieren – nichts mehr und nichts weniger. Unsere bourgeoise Mentalität wird die alten Konzepte nur mit neuen Kleidern versehen und sie dabei in ihrer Gesamtheit aber beibehalten. Man muß sehr auf diese kleinen Dinge aufpassen, die oftmals die besten Anzeichen für unsere fehlenden revolutionären Fähigkeiten sind.“

Lucía Sánchez Saornil
Mitbegründerin der „Mujeres Libres“
Stunden der Revolution, in: Broschüre der CNT-Nahrungsmittel, Barcelona, o.J.
zitiert nach: Mary Nash: Mujeres Libres, Karin Kramer Verlag, S. 108, 109